Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (18. Januar 2015)
 
Den Spiesser umgedreht
 

   In Deutschland werden die Deutschen immer lockerer und die Ausländer immer spiessiger. Der Spiess dreht sich also um. Dies ist kein wissenschaftlicher Befund, sondern ein ganz persönlicher Eindruck. Aber auch solche Eindrücke sind heutzutage von Bedeutung. Man denke nur an die 17-jährige Gymnasiastin aus Köln, die kürzlich via Twitter der Welt mitgeteilt hat, dass sie zwar ein Gedicht analysieren könne, von Steuern, Mieten und Versicherungen keine Ahnung habe. Diese Kritik am angeblich zu verkopften deutschen Bildungssystem fand derart grosse Verbreitung, dass sich sogar die Bundesbildungsministerin zu einem Kommentar genötigt sah.



   Diese Aufregung werde ich nun noch überbieten mit meiner These, dass Deutschland keine Islamisierung droht, sondern eine Verspiesserung. Draufgekommen bin ich durch die Forderung der Koalitionsfraktionen im Bundestag, die Bundesregierung möge darauf hinwirken, dass es in Supermärkten mehr quengelfreie Kassen gibt. Damit sind zwar in erster Linie die Süssigkeiten gemeint, die an mancher Kasse die Kinder zum weinerlichen Betteln bringen. Laut Duden heisst quengeln aber auch "in griesgrämig-kleinlicher Weise etwas zu bemängeln haben". Womit wir bei meinem Erlebnis im Supermarkt wären. Ich hatte aus dem Mülleimer in der Gemüseabteilung alte Karotten mit Grünzeug daran herausgefischt - für die Hasen meiner Tochter. Aber was sagt die Kassiererin? Das Grünzeug dürfe ich mitnehmen, die Karotten nicht. Dazu bräuchte ich eine Bescheinigung vom Abteilungsleiter der Gemüseabteilung, der mir schriftlich bestätigt, dass diese Karotten tatsächlich aus dem Müll stammen.



   Wutentbrannt rannte ich zurück, aber der Abteilungsleiter Gemüse war nicht da. Ich musste die Karotten wieder in die Mülltonne tun, da war nichts zu machen. Die Frau an der Kasse liess nicht mit sich reden. Sie hat damit nur nach Vorschrift gehandelt, ich weiss. Aber hat man uns nicht immer wieder gepredigt, es würde uns verbohrten Deutschen ganz guttun, wenn uns südländische Zuwanderung etwas mehr Lockerheit beibrächten? Diese Frau war eindeutig Südländerin. Von Lockerheit aber keine Spur.

   Es war nicht der erste Vorfall dieser Art. Zuvor war ich von einem befreundeten Serben getadelt worden, der mir mal beim Heckenschneiden half. Er wollte unbedingt morgens um acht Uhr anfangen - und das an einem Samstag! Als ich müde kurz nach acht zur Hecke kam, lächelte er herablassend über diesen unpünktlichen Deutschen und fragte nur "Können wir?"



   Dann war da noch der italienische Autofahrer, der mich auf vermeintlich kumpelhafte Art ("Hey Kollege!") zurechtwies, als ich mit dem Fahrrad auf einer ansonsten leeren Strasse fuhr. Ich müsse auf dem Radweg fahren, meinte er, auch wenn der Radweg auf der anderen Strassenseite sei. Das stimmt garnicht, habe ich später festgestellt, der Italiener soll mal die Strassenverkehrsordnung lesen. Aber ich bin nicht nachtragend. Ich bin locker. Ich bin Deutscher.

 

Zurück