In Deutschland werden die
Deutschen immer lockerer und die Ausländer immer spiessiger.
Der Spiess dreht sich also um. Dies ist kein wissenschaftlicher
Befund, sondern ein ganz persönlicher Eindruck. Aber auch solche
Eindrücke sind heutzutage von Bedeutung. Man denke nur an die
17-jährige Gymnasiastin aus Köln, die kürzlich via Twitter der
Welt mitgeteilt hat, dass sie zwar ein Gedicht analysieren könne,
von Steuern, Mieten und Versicherungen keine Ahnung habe. Diese
Kritik am angeblich zu verkopften deutschen Bildungssystem fand
derart grosse Verbreitung, dass sich sogar die Bundesbildungsministerin
zu einem Kommentar genötigt sah.

Diese
Aufregung werde ich nun noch überbieten mit meiner These, dass
Deutschland keine Islamisierung droht, sondern eine Verspiesserung.
Draufgekommen bin ich durch die Forderung der Koalitionsfraktionen
im Bundestag, die Bundesregierung möge darauf hinwirken, dass
es in Supermärkten mehr quengelfreie Kassen gibt. Damit sind
zwar in erster Linie die Süssigkeiten gemeint, die an mancher
Kasse die Kinder zum weinerlichen Betteln bringen. Laut Duden
heisst quengeln aber auch "in griesgrämig-kleinlicher Weise
etwas zu bemängeln haben". Womit wir bei meinem Erlebnis
im Supermarkt wären. Ich hatte aus dem Mülleimer in der Gemüseabteilung
alte Karotten mit Grünzeug daran herausgefischt - für die Hasen
meiner Tochter. Aber was sagt die Kassiererin? Das Grünzeug
dürfe ich mitnehmen, die Karotten nicht. Dazu bräuchte ich eine
Bescheinigung vom Abteilungsleiter der Gemüseabteilung, der
mir schriftlich bestätigt, dass diese Karotten tatsächlich aus
dem Müll stammen.

Wutentbrannt
rannte ich zurück, aber der Abteilungsleiter Gemüse war nicht
da. Ich musste die Karotten wieder in die Mülltonne tun, da
war nichts zu machen. Die Frau an der Kasse liess nicht mit
sich reden. Sie hat damit nur nach Vorschrift gehandelt, ich
weiss. Aber hat man uns nicht immer wieder gepredigt, es würde
uns verbohrten Deutschen ganz guttun, wenn uns südländische
Zuwanderung etwas mehr Lockerheit beibrächten? Diese Frau war
eindeutig Südländerin. Von Lockerheit aber keine Spur.
Es
war nicht der erste Vorfall dieser Art. Zuvor war ich von einem
befreundeten Serben getadelt worden, der mir mal beim Heckenschneiden
half. Er wollte unbedingt morgens um acht Uhr anfangen - und
das an einem Samstag! Als ich müde kurz nach acht zur Hecke
kam, lächelte er herablassend über diesen unpünktlichen Deutschen
und fragte nur "Können wir?"

Dann
war da noch der italienische Autofahrer, der mich auf vermeintlich
kumpelhafte Art ("Hey Kollege!") zurechtwies, als
ich mit dem Fahrrad auf einer ansonsten leeren Strasse fuhr.
Ich müsse auf dem Radweg fahren, meinte er, auch wenn der Radweg
auf der anderen Strassenseite sei. Das stimmt garnicht, habe
ich später festgestellt, der Italiener soll mal die Strassenverkehrsordnung
lesen. Aber ich bin nicht nachtragend. Ich bin locker. Ich bin
Deutscher.
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