Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (28. Dezember 2014)
 
Der  Speck muss weg
 

   Nach dem Exzess warten Reue, Schmerz und Flatulenzen. Alle Jahre wieder spannt und zwickt es an allen Stellen, von derer Existenz man nie wusste. Von irgendwoher bläht es gewaltig, zurzeit meist von rechts aussen in der Mitte. Unsere Wohlstandsgesellschaft war ja ganz ausser sich, unheimliche Volkskörperdemonstrationen wälzten sich wochenlang durch die festlich illuminierten Fussgängerzonen. Man konsumierte, kritisierte und konstenierte wie von Sinnen. Viele kämpften dabei gegen irgendetwas Vermeintliches: Gegen das Ersparte, gegen die Überfremdung, gegen soziale Abstiege, gegen gleichgeschaltete Medien, gegen die Islamisierung des Spätabendlandes. Geisterbeschwörungen.



   Und nun? Frei nach Bertold Brecht kommt erst die Scheinmoral, dann das Fressen, schliesslich die geistige Verstopfung. Kommt das letzte Aufgebot gegen die Reste eines unfassbaren Festgelages. Aus Badspiegeln gucken einen konturlose Fratzen an. Aus Leib gewordene Erinnerungen an dampfende Entenkeulen, so glänzend wie die umherschlackernden Damenschenkel in der "Helene Fischer Show", Speckknödel monströs und unverdaulich wie die neokonserative Popanz, giftig-süsse Zuckerstangen fast so lang wie ein Dresdner "Pegida"-Umzug. Nichts gegen bunte Umzüge und lustige Fahnen, aber die Grammatik muss schon stimmen. Andauernd hört man irgendwelche Typen "Wir sind das Volk" aus der Glotze skandieren, und man fragt sich, wen die mit "Wir" eigentlich meinen.

   Gegen diese bedenkliche Personalpronomen-Schwäche und das allgemeine Schlager-Vollegefühl helfen bekanntlich Fastenkuren, aber auch ein bisschen Bewegung wirkt Wunder, heisst es. Wie wäre es mit einem spontanen Verdauungsspaziergang mit Gleichgesinnten? Die nächste fremdenfeindliche Kundgebung wäre eine kalorienfeindliche Alternative für Deutschland und alle Faulis, die nach dem jüngsten Platzchenmassaker im Kreise der Liebsten etwas für ihr Wohlbefinden tun wollen. Wer partout nicht in der Kälte marschieren möchte und Anti-Anti-Demos ohnehin für sinnlos erachtet, kann es mit der Pjöngjang-Diät versuchen. Immer wenn in Nordkorea der heldenhafte Führer Kim Jong Un sein schönes Haupthaar föhnt, bricht automatisch für Stunden das Internet des Landes zusammen. Wenn bei uns der herrliche Landesvater Kretschmann den Interview-Föhn zwischen den Jahren anwirft, kommt lediglich eine heisse Bürste und die Aufforderung zum Dialog mit den Ewiggestrigen heraus, was einen gefährlichen Jo-Jo-Effekt hervorrufen kann. Dieser Vorschlag ist ungefähr so konstruktiv wie ein Dialog mit dem eigenen Hüftspeck. Wer entschlacken will, muss hart sein. Kim Jong Un weiss das. Ohne Internet steigen die Geburtsraten, purzeln die Pfunde und das Volk schwafelt kein paranoides Zeug mehr wie sonst wo. Ein Leben ohne "Pegida", Putin, Salafisten, Zalando und Helene-Fischer-Fotogalerien - diese Vorstellung hätte schon etwas Selbstreinigendes. Jemand müsste im neuen Jahr einfach mal den Stecker ziehen.

 

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