25 Jahre nach dem Fall der
Mauer ist es an der Zeit, ein bislang unbekanntes Stück deutsche
Geschichte aufzuarbeiten. Ich rede von dem Stück Kaugummi, das
ich Anfang der achtziger Jahre im Deutschen Bundesrat unter
einen Sitz geklebt habe.
Es war ein
Schulklassen-Ausflug in die damalige Hauptstadt Bonn, wir hatten
die Nacht durchgemacht, ich sass hundemüde im Bundesrat und
war damit beschäftigt, während des Vortrages über das politische
System der Bundesrepublik Deutschland nicht einzuschlafen.

Plötzlich
kam mir die Idee, mich im Bundesrat zu verewigen. Ich war hier!
Und so nahm ich meinen Kaugummi und klebte ihn irgendwo hin.
Ich weiss noch genau, dass es der Platz war, wo sonst der damalige
niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht sass. Eine
Sauerei. Eine Schändung des Föderalismus. Ein Anschlag auf den
verdienten Herrn Albrecht und die guten SItten. Ich schäme mich
noch heute.
Heute heisst die Hauptstadt
Berlin und noch immer kleben die junge Leute ihre Kaugummis
irgendwo hin. Allerdings gibt es mittlerweise feste Anlaufstellen
für Kaugummi-Kleber, so dass sich keine Fäden durch die Stadt
spinnen. Ich sehe darin einen Fortschritt. In Berlin sind es
zwei Segmente der damaligen Berliner Mauer, die inzwischen mit
Kaugummis übersäht sind. Kritiker beklagen, dass die jungen
Leute, zumeist Touristen, durch ihr krankhaftes Tun den Denkmälern
ihre Bedeutung rauben. Demnach wären da Klebtomanen am Werk.
Andere warnen davor, dass Geheimdienste und Polizei durch die
Kaugummireste nun problemlos an DNA-Proben kämen. Wozu haben
wir die Vorratsspeicherung abgeschafft, wenn nun die Vorratsspeichelung
kommt?
Der Berliner CDU-Bundesabgeordnete
Frank Steffel hat eine Reinigung der Mauerstücke gefordert -
spätestens bis zu den Feierlichkeiten am 9. November. Die eher
bedächtig agierende Berliner Stadtverwaltung hat allerdings
schon vor Jahren festgestellt, dass eine solche Reinigung auch
die Original-Graffiti wegputzen würde, die unter den Kaugummis
verborgen sind.
Früher hat man die
Graffiti eher als Schmiereien angesehen. Seit dem Mauerfall
gelten sie als historisches Zeugnis, das unbedingt erhalten
werden muss. Ob etwas Kunst ist oder Dreck, ist eben auch eine
Frage der Zeit.

Mittlerweise
verewigen sich sich die Touristen in Berlin auch auf dem Boulevard
unter den Linden. Ein erster Lindenbaum ist bereits derart gummiert,
dass er als Kautschukpflanze gilt. Bald wird der neue Hauptstadtflughafen,
der als groteske Fehlplanung zu den touristischen Hauptattraktionen
zählt, ebenfalls so zugeklebt sein, dass dort endgültig kein
Flugzeug mehr wird abheben können.
Mein
Rat an die jungen Leute von heute lautet: Wer das dringende
Bedürfnis verspürt, einen Kaugummi irgendwohin zu kleben, der
gehe nach Berlin. Dort rief schon vor Jahrzehnten ein grosser
Bürgermeister; Ihr Völker aller Welt, kaut auf diese Stadt!
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