Gleissender Asphalt, der
sich mit Motorenlärm, dem Kreischen von Kindern und dem Geruch
Abertausender Körper im Aggregatzustand der Urlaubsverwahrlosung
zu einem alle Sinne verzaubernden Gemisch verdichtet. Die Völkerwanderung
germanischer Ethnien nach Südeuropa hat in dieser Woche wieder
ihren Höhepunkt erreicht. In Kiefersfelden, jenem uralten Grenzübergang,
der schon von den Langobarden genutzt wurde, erinnert ein Denkmal
an den ersten Zug in den Süden.
Damals
war es die Familie Podzuwski (zwei Erwachsene, vier Kinder)
aus Erkenschwick, die sich mit ihrem Opel Kadett bis an die
Adria durchschlug und dort in fehlerfreiem Deutsch Spaghetti
und Rotwein bestellte. Sonne, Trunkenheit, Lire-Betrug, Klappbetten,
Seeigel und Motorenöl umwölkten die Podzuwskis. Dieser Duft
der Italianita verzauberte die Daheimgebliebenen so nachhaltig,
dass sich schon im Folgejahr ein Konvoi aus sechs Autos formte,
von denen zwei am Gotthard-Pass verdampften, eines auf Höhe
Milano spurlos an einem Rastplatz verschwand und sich die Besitzer
der drei verbliebenen unter dem Einfluss eines italienischen
Bademeisters nicht mehr zu einer gemeinsamen Heimfahrt entschliessen
konnten.

Die
Krise in Mitteleuropa (sinkende Durchschnittstemperaturen, die
Mutti-Regierung, das Verschwinden des Opel Kadetts) hat die
Wanderbewegungen zu einer kaum noch zu kontrollierenden Massenflucht
in den Süden verwandelt. An der Raststätte Irschenberg wurde
in dieser Woche das siebenmillionste Wiener Schnitzel mit Zitrone
und Pommes (wahlweise mit Bratkartoffeln) ausgegeben. Der Pächter
berichtete, er habe den Preis auf 25,40 Euro gesenkt, weil er
das Elend in den Augen der Flüchtlinge nicht mehr mit ansehen
konnte. Familie Podzuwski (zwei Erwachsene, zwei Kinder, drei
Enkel) hat ihren Ford Mondeo Diesel seit Montag 56,89 Meter
Richtung Süden bewegt. Man komme gut voran, so der Familienvater,
der sich am Mittwoch das fünfte Unterhemd überstreifte.
Zur
Wochemitte spricht der Bayrische Rundfunk von einer humanitären
Katastrophe. Unter den Ausreisewilligen drohte der Ausbruch
unkontrollierter Langweile, weil die Akkus vieler Handy und
Spielekonsolen am Ende ihrer Kräfte sind. Horst Podzuwski verteilt
die letzten Wasservorräte. Der Mondeo stöhnt sich über eine
Strecke von weiteren 22,30 Metern. Die Stimmung ist angespannt,
aber ans Aufgeben denkt niemand.

Am
Freitag macht Familie Podzuwski einen knappen Kilometer gut.
"Ab jetzt rutscht es", weiss der Rentner. In der Ferne
schälen sich die Alpen aus dem Dunst der Abgase. Man meint,
das heisere Lachen der italienischen Bademeister schon zu hören.
Am sternenklaren Nachthimmel funkelt das Sternenbild der grossen
Qualle. Die Podzuwskis sind jetzt ganz dicht dran. Nur die Wegelagerer
an den italienischen Mautstellen bereiten noch Sorge. Kugelschreiber,
Aspirintabletten und Kondome werden als Wegezoll bereitgehalten.
Ob das aber reicht? Demnächst mehr.
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