Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (29. Dezember 2013)
 
Barmherzige Blähungen
 

   Nach Weihnachten bricht eine magische Zeit an, die im Volksmund mit dem Ausdruck "zwischen den Jahren" bezeichnet wird. Eine seltsame Redewendung, so schön und rätselhaft wie eines dieser geisterhaften Interviews zwischen zwei überquellenden Aschenbechern mit dem unsterblichen Kanzler der Herzen Helmut Schmidt, Volkskundler verweisen auf einen vorchristlichen Aberglauben, nach dem in den Nächten zwischen den Jahren das wilde Herr Odins durch die Lüfte fährt und jeden entführt, der ihm begegnet. Für die meisten Normalsterblichen allerdings meint der Ausdruck die verheissungsvollen Tage zwischen der Wintersonnenwende und Dreikönig, in denen nach vordemokratischer Überlieferung der wilde Herr Putin Gnade vor Unrecht ergehen lässt und jeden Andersdenkenden, der ihm in den Diktatorensinn fällt, aus den Kerkern werfen lässt, je nach Wolga- und Wodkapegel. Für die anderen steht die Phase für das Zeitfenster zwischen dem Nervenzusammenbruch kurz vor der Festbescherung im Kreis der Liebsten und der Kreditkartenabrechnung Anfang Januar. Nichts ist mehr sicher, alles scheint möglich.



   So kehrt zwischen den Jahren nicht nur das Völlegefühl, sondern auch der Glaube zurück. Es herrschen Blähungen, Barmherzigkeit und Barbusigkeit. Die Gotteshäuser füllen sich, auch weil sich die männlichen Gläubigen nach Spiritualität und halbnackten Wahrheiten, die auf Altären in Köln und sonst wo ungehemmt herumtollen dürfen. Die blanke Haut steht für eine neue Kirche der Armen. Endlich hat der Katholizismus aus seinen Fehlern gelernt, Odin sei Dank. Wer dem verlockenden Angebot (Sale!) der bescheidenen Kirchenväter noch widerstehen kann, zählt seine Speckrollen, schlürft hektoliterweise Abführtee oder wartet in langen Schlangen vor den Kassen der Einkaufstempel. Man bringt, dem Konsumgott huldigend, ungeliebte Überraschungen zurück. Das Umtauschen von Christkindl-Plunder ist eine nachchristliches Opferritual unseres Heuchelkulturkreises, das selbst im unweihnachtlichen Ankara gepflegt wird. Sultan Erdogan hat nach den Feiertagen gleich zehn seiner Minister umgetauscht (defekte Schnurbärte), und zwar gegen einen Deckmantel des Schweigens sowie eine frisch gewaschene weisse Weste. Ein Fehler. Weiss den Umtausch-Schnäppchen-Queen Erdogan nicht, dass jedem, der zwischen Weihnachten und Neujahr seine dreckige Wäsche wäscht, im neuen Jahr Schlimmes bevorsteht?



   Klüger ist es, lockerzulassen, sich auf die Maut zu freuen, und hier und dort mit der Mindestlohn-Lunte zu spielen. Am besten lässt man lange vor der Silvesternacht einige weiss-blaue Böller aus dem Raketensortiment der bayrischen Knallkopffirma CSU explodieren (je ein Dutzend Seehofer-Knatterkometen und Luftpfeiffen "Dobrindt", Brenndauer ca. 30 Sekunden). Stinkt fürchterlich. Der TÜV warnt vor tief schwarz-roten Fleischwunden und dem ersten Krach in der Grossen Koalition. Doch wie gesagt: Zwischen den Jahren ist alles anders - und fast alles erlaubt.

 

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