Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (03. November 2013)
 
Königsmörder und Bauernopfer
 

   Norweger müsste man sein. Oder Schachspieler. Am besten beides, ein norwegischer Schachspieler. So einen norwegischem Schachspieler und potenziellen Weltmeister liegt nämlich die gesamte Welt zu Füssen. Was merkwürdig ist. Denn vor nicht allzu langer Zeit standen Schachvirtuosen in dem zweifelhaften Ruf, noch bis zu 40 bei ihrer Mutter zu hausen, Polyesterhemden mit psychedelischen Mustern zu tragen und eher uninteressiert an regelmässiger Körperhygiene zu sein. Schachspieler, das waren doch die Numismatiker unter den Philatelisten. Und nun kommt dieser junge, unverschämt gut aussehende Brettspielgott und Königsmörder namens Magnus Carlson, trägt zu Werbezwecken enge Jeans sowie gross karierte Unterwäsche und bringt mit laszivem Vor- und Endspiel reihenweise Töchter aus bildungsnahen Haushalten zum Kreischen wie hohle Kürbisse an Halloween.



   Norweger müsste man also sein. Liebe Norweger als Baden-Württemberger. Weil Letztere sich weder sexy noch hipstermässig fühlen, auch wenn sie um die 40 sind und längst nicht mehr bei Mama leben. Eine Studie der Techniker-Krankenkasse hat ergeben: Jeder zweite Springer oder Läufer aus einem baden-württembergischen Schachverein fühlt sich im Job gestresst. Viele beklagen sinnlose Rochaden am Arbeitsplatz, fehlende Mindestlöhne, Terminstress nach der Eröffnung e2-e4 und den Druck durch karrieristische Bürobauern ohne Talent. Zudem drängen Billiglöhner-Figuren aus dem Ausland aufs umkämpfte Spielfeld, die aus ganz anderem Holz geschnitzt sind als das heimische Kanonenfutter. Manch ein Vollzeitläufer greift zur Flasche oder versteckt sich mit Burn-out-Symptomen  hinter einem dicken Turm. Vereinzelt wurden langzeitarbeitslose Pferde auf einer Mühle- oder Halma-Koppel gesichtet, wo sie eine Umschulung als Ackergaul in einer Spielesammlung von Ravensburger absolvieren. Ihre berufliche Zukunft ist freilich düster.

   Wer es sich leisten kann, opfert einen Bauern am Rand, sucht auf Staatskosten Entspannung in einem katholischen Fünf-Sterne-Kloster - oder spielt falsch. Immer beliebter wird das freundschaftliche Ausspähen und Abtasten des Gegners unter dem Turniertisch. So hat der amerikanische Geheimdienst jahrelang "Deep Fritz" abgehört, den implantierten Schachcomputer des geheimnisumwobenen Wunderkinds im Innenministerium namens Hans-Peter Friedrich. Niemand weiss, wieviele Züge das Genie vorausdenken kann, man schätzt mindestens zwei. Ein Grossmeister des Narrenmatts. Manche vergleichen seine defensive Spielweise mit der legendären Partie zwischen Sämisch und Nimzowitsch, Kopenhagen 1923, die als "unsterbliche Zugzwangpartie" in die Annalen eingegangen ist (die Älteren werden sich erinnern). Allerdings kam nach der Analyse von Friedrichs Datensalat kein schlüssiges Bild zustande. Einen hohen Beamten im Kongress erinnerte das Kuddelmuddel an ein Strickmuster für einen Norwegerpulli aus der "Brigitte". Na bitte. Norweger müsste man sein.

 

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