Norweger müsste man sein.
Oder Schachspieler. Am besten beides, ein norwegischer Schachspieler.
So einen norwegischem Schachspieler und potenziellen Weltmeister
liegt nämlich die gesamte Welt zu Füssen. Was merkwürdig ist.
Denn vor nicht allzu langer Zeit standen Schachvirtuosen in
dem zweifelhaften Ruf, noch bis zu 40 bei ihrer Mutter zu hausen,
Polyesterhemden mit psychedelischen Mustern zu tragen und eher
uninteressiert an regelmässiger Körperhygiene zu sein. Schachspieler,
das waren doch die Numismatiker unter den Philatelisten. Und
nun kommt dieser junge, unverschämt gut aussehende Brettspielgott
und Königsmörder namens Magnus Carlson, trägt zu Werbezwecken
enge Jeans sowie gross karierte Unterwäsche und bringt mit laszivem
Vor- und Endspiel reihenweise Töchter aus bildungsnahen Haushalten
zum Kreischen wie hohle Kürbisse an Halloween.

Norweger
müsste man also sein. Liebe Norweger als Baden-Württemberger.
Weil Letztere sich weder sexy noch hipstermässig fühlen, auch
wenn sie um die 40 sind und längst nicht mehr bei Mama leben.
Eine Studie der Techniker-Krankenkasse hat ergeben: Jeder zweite
Springer oder Läufer aus einem baden-württembergischen Schachverein
fühlt sich im Job gestresst. Viele beklagen sinnlose Rochaden
am Arbeitsplatz, fehlende Mindestlöhne, Terminstress nach der
Eröffnung e2-e4 und den Druck durch karrieristische Bürobauern
ohne Talent. Zudem drängen Billiglöhner-Figuren aus dem Ausland
aufs umkämpfte Spielfeld, die aus ganz anderem Holz geschnitzt
sind als das heimische Kanonenfutter. Manch ein Vollzeitläufer
greift zur Flasche oder versteckt sich mit Burn-out-Symptomen
hinter einem dicken Turm. Vereinzelt wurden langzeitarbeitslose
Pferde auf einer Mühle- oder Halma-Koppel gesichtet, wo sie
eine Umschulung als Ackergaul in einer Spielesammlung von Ravensburger
absolvieren. Ihre berufliche Zukunft ist freilich düster.
Wer
es sich leisten kann, opfert einen Bauern am Rand, sucht auf
Staatskosten Entspannung in einem katholischen Fünf-Sterne-Kloster
- oder spielt falsch. Immer beliebter wird das freundschaftliche
Ausspähen und Abtasten des Gegners unter dem Turniertisch. So
hat der amerikanische Geheimdienst jahrelang "Deep Fritz"
abgehört, den implantierten Schachcomputer des geheimnisumwobenen
Wunderkinds im Innenministerium namens Hans-Peter Friedrich.
Niemand weiss, wieviele Züge das Genie vorausdenken kann, man
schätzt mindestens zwei. Ein Grossmeister des Narrenmatts. Manche
vergleichen seine defensive Spielweise mit der legendären Partie
zwischen Sämisch und Nimzowitsch, Kopenhagen 1923, die als "unsterbliche
Zugzwangpartie" in die Annalen eingegangen ist (die Älteren
werden sich erinnern). Allerdings kam nach der Analyse von Friedrichs
Datensalat kein schlüssiges Bild zustande. Einen hohen Beamten
im Kongress erinnerte das Kuddelmuddel an ein Strickmuster für
einen Norwegerpulli aus der "Brigitte". Na bitte.
Norweger müsste man sein.
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