Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (13. Oktober 2013)
 
Die Grosse Berliner Sondierung
 

   Deutschland bebte in dieser Woche unter der Wucht der grössten Sondierung aller Zeiten. Aus allen Landesteilen strömten Revolutionäre, Idealisten, Strategen, Intriganten, Verleumder, Parvenüs, Karrieristen, Apostaten, Schmeichler, Verräter, Funktionäre, Steuerhinterzieher, Durchstecher und Höflinge ins Berliner Olympiastadion. Um eine zügige Verhandlungsführung zu ermöglichen, zugleich aber den Eindruck einer Geheimveranstaltung zu zerstreuen, dürfen genau 6734 Teilnehmer pro Partei am Tisch sitzen. Jeder hat Anspruch auf vier Berliner Currywürste pro Tag, drei Scheffel Tabak und vier Liter Bier (hier hatte sich im Vorfeld die CSU durchgesetzt).



   An den ersten Tagen umkreisten sich die Parteigänger und beschnüffelten sich, um anschliessend Sätze wie "Haben wir einen Rahmen abgesteckt ... brauchen Einigkeit über wichtige Zukunftsinvestitionen ... sehen wir ähnliche Probleme ... sind wir in der Frage von Steuererhöhungen prinzipiell verhandlungsbereit" zu entlassen. Draussen im Land wurde jeder dieser Sätze bejubelt, vermittelte er doch die Hoffnung auf ein starkes, gerechteres und in der Welt angesehenes Deutschland.

   Die Grosse Berliner Sondierung stützt sich auf historische Vorbilder: Allen voran die Sondierung von Trient im Jahr 1344 (Grande Sondazione mondiale della ecclesia serenissima und so weiter) und verschiedene erfolgreiche Geheimsondierungen der Neuzeit, bei denen sich Diktatoren die Hände reichten und das Blut aufgeteilter Kleinstaaten tranken (Russisch: "Sondatschuk"):

   Das festliche Berliner Gepränge ist davon natürlich weit entfernt. Die CDU mobilisierte ihre Toten Hosen in allen Landesteilen, die unter den Fanfaren der Undendlichkeit einmarschierten. DIe SPD liess kohlenstaubgefärbte Bergmannsvereine einrücken, die CSU verliess sich auf die Wucht der Blaskapelle Traunstein, die bereits bei der Verteidigung des Freistaats gegen die Befürworter des Rauchverbots einen furchtbaren Blutzoll entrichten musste. Die Grünen schickten 2000 Biomöhren aus dem Realo-Lager. Als ob das nicht genügte, war die Luft so erfüllt von den Twittermeldungen Sigmar Gabriels, dass sich die Sonne verfinsterte. Obwohl der Vorrat an Geheimtinte schmilzt, herrschte diese Woche eine gelöste Stimmung. Und als die Wogen doch einmal hochgingen, wurde rasch das zerfurchte Gesicht Wolfgang Schäubles auf den Videoleinwänden eingeblendet.



   Doch es gilt: Keiner der Teilnehmer darf das Olympiagelände verlassen, bevor nicht weisser Rauch aufsteigt, der anzeigt, dass die ersten Ministerposten vergeben sind. Da jedem Teilnehmer eine Redezeit von 23 Minuten zugesprochen wird, dürfte sich die historische Berliner Sondierung einige Jahre hinziehen. Derweil blüht das regierungslose Land und gedeiht, Menschen arbeiten und verlieben sich, Verbrechen werden begangen und Kinder geboren. Im Rund des Stadions hat man die ersten 134 von 560000 Tagesordnungspunkten abgearbeitet. Doch man sei noch weit auseinander, heisst es.

 

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