Es ist ein weit verbreiteter
Irrglaube, dass Wahlkämpfe durch Reden entschieden werden. Viel
wichtiger ist, was nicht gesagt, was verschwiegen wird. Hätten
die Grünen zum Beispiel in ihrem Wahlprogramm weggelassen, wie
und bei wem sie genau das viele Geld eintreiben wollen, das
sie für die Haushaltsanierung und diverse Zusatzausgaben brauchen,
stünden sie in den Umfragen wahrscheinlich besser da. Aber wie
soll eine Partei, die sich für einen vegetarischen Tag in Kantinen
starkmacht, diesen Braten auch riechen?

Ein besseres Gespür zeigte da schon Phillip
Rösler, der von sich immer noch behauptet, er sei FDP-Chef.
Rösler verhinderte in der vergangenen Woche das Erscheinen eines
Interviews, in dem er von zwei Redakteurinnen der linksgerichteten
"Tageszeitung" (taz) ziemlich penetrant nach seiner
asiatischen Herkunft befragt worden war. Denn Rösler weiss:
Besser kein Interview als ein schlechtes. Als die "taz"
daraufhin den Vorgang öffentlich machte, indem sie nur ihre
Fragen abdruckte, bekam Rösler viel Zuspruch - selbst von denen,
die seine Partei nie wählen würden. Wie doof manche Fragen sind,
fällt halt oft erst auf, wenn die Antworten fehlen.
Die
Meisterin des Nichtssagens ist bekanntlich Angela Merkel. Sie
käme nie auf die Idee, jemanden öffentlich abzukanzeln, den
sie vielleicht noch mal brauchen kann. Man stelle sich vor,
Merkel würde offenbaren, was sie tatsächlich von uns allen hält:
Den Wählern, ihren Parteifreunden, den Gewerkschaften, den Industriebossen.
Man stelle sich vor, sie würde auch noch sagen, was wirklich
an Einsparungen und Steuererhöhungen nötig wäre, um die Schuldenbremse
einzuhalten - die Wahl wäre für sie verloren. Für den Wahlkampf
gilt: Die Wahrheit will in Wahrheit niemand hören.
Insofern
war allein schon der Ansatz von Peer Steinbrück tollkühn, mit
Klartext die Wahl gewinnen zu wollen. Zumal der SPD-Spitzenkandidat
nicht gerade der Vorsichtigste ist. Er feiert die Fallen wie
die Feste.
Womit wir bei dem Finger
wären, dem Finger der Woche sozusagen. Steinbrück hat auf dem
Titelbild einer Zeitschrift den Stinkefinger gezeigt - seinen
Kritikern vorallem, aber vielleicht auch dem ganzen Wahlkampf,
seiner Bereitschaft zur Kandidatur. Wer A sagt, muss auch B-leidigen
können.

Dabei
lautet das Motto der Interviewreihe ausdrücklich: Sagen Sie
jetzt nichts. Der Befragte soll nur mit Gesten antworten, aber
auch das kann natürlich in die Pose gehen. Steinbrück sagt halt
selbst gern etwas, wenn er nichts sagen soll. So geht Wahlkampf
aber nicht.
Vielleicht punktet Steinbrück
mit dem Finger trotzdem. Vielleicht sagen die Leute, da hat
sich der Sozi aber mal prima sozial gerächt. Das neue iPhone
von Apple lässt sich künftig auch mit dem Mittelfinger entsperren
- warum nicht auch der sperrige Wähler?
Merkel
setzt derweil weiter auf das grosse Nichts. Ihrem Sprecher liess
sie zu Steinbrücks Finger erklären: "Ich habe dazu keine
Worte."
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