Der Deutsche ist sich selbst
ein ewig Rästel. Er glaubt es zumindest. Ständig sucht er in
zermürbenden Selbstgesprächen nach Antworten auf die Frage,
was seine private Welt im Innersten zusammenhält. Schon Goethe
liess den berühmtesten aller deutschen Zweifler, den promovierten
Egomanen Faust, an dieser Gier nach Selbsterkenntnis scheitern,
um dann von einem teuflischen Pudel therapiert zu werden. Gegen
zunehmende Stirnfaltenbildung helfen nur Wein, Weib und das
Mitschunkeln zum "Musikantenstadl" im Ersten. Kurzum:
Ganz normale Hobbys für Langweiler wie du und ich.

Doch
man traut dem Spuk offenbar nicht. Scharen von Demoskopen und
Meinungsforschern fragen sich deshalb weiterhin, ist der faustische
Deutsche tatsächlich so einfach gestrickt, wie er scheint? Was
ist des Pudels Kern? Täglich werden die Bürger mit brisanten
Umfrageergebnissen zu ihrem womöglich bizzaren Eigenleben konfrontiert.
Man ist besessen von Dauerumfragen aller Art. Von der Wahlabsicht
bis zur Darmtätigkeit - alles muss kollektiv verdaut, prozentual
ausgeschieden und statistisch wiedergekäut werden. Es gibt mittlerweile
mehr Studien und Umfrageinstitute als Bürger im antwortfähigen
Alter. Im Internet, auf der Strasse, jeder hat irgendwann mal
auf einer Skala von null bis zehn seine Individualität geopfert.
Jeder
Vierte befürchtet Stress. Jeder zweite Jugendliche hat keinen
blassen Schimmer, was eine Bundestagswahl ist. Und jeder Dritte?
Ist ein chronischer Sportmuffel, hatte schon mal Sex im Büro
und entsorgt seine Energiesparlampen falsch, wobei man sich
um diese Saubären ernsthaft Sorgen machen muss. Eine viel beachtete
Studie ergab in dieser Woche, dass zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen
der Deutschen überraschenderweise Fernsehen und Kuchenessen
gehört. Und elf von zehn "Spiegel"-Redakteuren schwören
auf die Leitartikel ihres küftigen Kollegen von der "Bild"-Zeitung
als bewährtes Hausmittel bei Hämorriden und anderen nässenden
Entzündungen im Intimbereich.

Doch
ist das wirklich noch das Land der Dichter und Denker, das die
Welt einst das Staunen und Fürchten gelehrt hat? Selbst der
britische Geheimdienst zweifelt nicht mehr an der Durchschnittlichkeit
der Deutschen, nachdem er mit freundlicher Unterstützung des
deutschen Innenministerium eine Spontanumfrage in den Glasfaserkabeln
der Republik durchgeführt hat. In den abgezapften E-Mails fanden
sich grösstenteils Fernsehtipps ("Tatort", "TV-Duell",
irgendwas mit der Neubauer), allerneuste Stress-Studien (repräsentativ
und besorgniserregend) und leckere Kuchenrezepte, davon 37 Prozent
mit Biskuit. Nicht einmal das enträtselte Privatleben von Angela
Merkel und Peer Steinbrück gibt Anlass zur Sorge. Letzterer
spielt in 73,4 Prozent seiner Freizeit Schach gegen sich selbst,
hat aber noch nie gewonnen (Stress!) und isst Kuchen. Die passionierte
Ostdeutsche hingegen gibt als Hobbys "Gärtnern" und
"Bundeskanzlerin" an. Irgendwie muss man sich ja entspannen
von so viel Umfragen.
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