Alle Augen richteten sich
diese Woche auf Mainz, wo sich eine "ortsfeste Bahnanlage
der Eisenbahn" befindet, "die Lokführer bei der sicheren
Abwicklung von Zugfahrten unterstützt, indem Fahrwegeelemente
zentral bedient werden und die Signale in Signalabhängigkeit
für den Lokführer nach Prüfung der Elementstellungen gestellt
werden". Genau, es handelt sich um das Mainzer Stellwerk,
eine Kathedrale des Schienenverkehrs. In den vergangenen Tagen
kam es dort zu einer Zusammenballung von Zügen, Passagieren
und Reklamationen, die nur mit Hilfe neuester Hochleistungstechnik
bewältigt werden konnten.

Das
Mainzer Stellwerk stammt aus Restbeständen des Bahnbetriebswerks
Rote Fahne in Chabarowsk. Mittlerweile ist auch die Betriebsanleitung
übersetzt. ("Danke, dass sie kauft haben Stellwerk BRU
33. Wichtig: Nix mit falschen Fingern spielen am Knopf für flugsfreie
Fahrt von Pfeilzug. Attenz: Nie zwei Züge mit Gesicht voraus
auf selber Schiene! Wodka im Kühlschrank hinten links muss immer
Vorrat"). Das Stellwerk ist auf die Abwicklung von bis
zu drei Zügen (nicht am selben Tag) ausgelegt und macht 1400
Weichenwärter, Streckenläufer, Fahrdienstleiter und Heizer überflüssig,
die jetzt im Bahnservice eingesetzt werden: "So, Sie wollen
nach Kiel. Schnellstmöglich. Lassen Sie mich mal ... Kempten,
Konstanz ... ist übrigens auch sehr schön. Während Kiel kühl
sein. Kühl in Kiel, hehehe. Wo, sagen Sie möchten SIe hin ..."
Beim Betrieb setzt die Bahn auf Fachkräfte aus Bulgarien. Sie
sind in der Lage, das Wort "Gleisfreimeldestelle"
zu buchstabieren und können mit einem Arm fünf verrostete Stellhebel
verbiegen. Nach einem halben Jahr sind sie erschöpft und werden
bei einer Museumsbahn eingesetzt. Frühmorgens schaltet die Reinigungskraft
den Strom an und lässt eine Sinfonie des Industriezeitalters
erklingen. Kontrolllampen brizzeln, Kabel schmoren, und Sicherungen
explodieren. Draussen irren Züge umher, laufen Toiletten über,
kollabieren Kaffeeautomaten und Wagenstandsanzeiger. Alle Rädchen
greifen ineinander. Das kann nur funktionieren, weil die wichtigsten
Befehle direkt aus der Berliner Bahnzentrale kommen.

Wurden
schon bisher alle Beschwerden direkt an den Bahnchef Grube durchgestellt
("Danke für Ihren Anruf und dafür, dass Sie durch Ihre
Fahrt von Lübeck nach Osnabrück mit Umsteigen in Dingsda mein
Gehalt in Höhe von ... na, da würde Ihnen schwarz vor Augen
... ermöglichen"), laufen jetzt auch die mechanischen Drahtzugleitungen
vom Mainzer Stellwerk ins Büro des Bahnchefs. Der trägt eine
Eisenbahnermütze und eine Uniform mit goldenen Knöpfen und kann
an seinem Schaltpult der Spur H0 ganz allein bis zu 15 Regionalzüge
aufs Abstellgleis schieben. Seitdem gehen im Bahntower die Lichter
nicht mehr aus, heiseres Lachen ertönt aus der Chefetage. "So
lustig war es früher nie", bekundete Bahnchef Grube gegenüber
unserer Redaktion Reise und Verkehr. Ein Besuch in Mainz lohnt
sich also. Man sollte nur etwas Zeit mitbringen.
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