Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (04. August 2013)
 
Sind Sie tiefentolerant?
 

   Toleranz war gestern. Heute ist Tiefentoleranz gefragt. Das Stichwort tauchte neulich (in der modischen Schreibweise "tiefenToleranz") im Zusammenhang mit der Schwulen- und Lesbenparade Christopher Street Day in Stuttgart auf, einer heissen Mischung aus Karneval in Rio und Coming-out am Nesenbach.

   Es fiel mir schwer, diese Wochen konzentriert zu arbeiten. Ständig kreisten meine Gedanken um mein Toleranzvermögen. Bin ich nur oberflächlich tolerant? Oder reicht meine Toleranz bis unter die Haut? Kommt sie von innen?



   Ich glaube, das Problem mit der Tiefentoleranz berührt nicht nur den Bereich der sexuellen Vorlieben. Richtig zu Ende gedacht, stellt sie auch andere Lebensbereiche infrage. Spende ich an Amnesty International und Greenpeace, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen? Oder stehe ich mit Haut und Haaren hinter den Organisationen? Bis zur Klärung sollten Sie sämtliche Zahlungen einstellen.

   Mich treibt die Frage um, wie ernst der "Ich bremse auch für Tiere"-Aufkleber auf meinem Wagen gemeint ist. Bremse ich, um Tierleben zu retten? Oder mache ich es, weil es mir um ein Vehikel geht, das ich mir gekauft habe, um Eindruck zu schinden? Einen Hund, der auf die Strasse läuft, ist es egal, warum ich in die Eisen trete. Mir nicht.

   Wie so oft, wenn man es wirklilch mal braucht, lässt einen das Internet in essenziellen Lebensfragen im Stich. Auf der Suche nach Entscheidungshilfen bin ich bei Wahlomaten und Flugpreisportalen gelandet, einen Toleranzmesser fand ich nicht. Das einzige´, wodrauf ich stiess, war eine Kollektion von Zero-Tolerance-Messern, teuflich scharfe Werkzeuge für Berufssoldaten, Polizisten, Feuerwehrleute, Mitglieder von Rettungsbrigaden und medizinisches Hilfspersonal. Die Messer sehen martialisch aus. Man mag sich nicht vorstellen, wenn sie in die Hände nichttoleranter Menschen fallen.

   Schlage vor, solange die Unterstützung aus dem Netz fehlt, stelle sich jeder selbst auf die Probe. Ich habe mich etwa gefragt: Bin ich wirklich gegenüber Menschen mit anderer sexueller Orientierung so tolerant, wie ich mich immer behaupten höre? Könnte ich mir vorstellen, eine Frau, die Frauen liebt, in meiner Nähe zu ertragen? Sagen wir mal so: Solang die Frau einen Wahnsinnskörper und einen guten Charakter besitzt, mir meine Gelüste von den Augen abliest, ordentlich Kohle heimbringt und der Hausarbeit nicht abgeneigt ist - warum nicht? Bei Männern mit homoerotischer Neigung hätte ich eher ein Problem. An der Stelle herrscht moch Toleranzbedarf - nicht nur in der Tiefe.



   Der Ruf nach Tiefentoleranz weckt Erinnerungen an die gute alte Zeit der TV-Reklame. Das Zeug, das aus der Waschmaschine komme, müsse "nicht nur sauber, sonder porentief rein" sein, forderte die Klementine. Aus heutiger Sicht war die Frau eine Domina, die uns an die Wäsche wollte. Statt Lack und Leder trug sie eine weisse Latzhose. Damals habe ich das toleriert.

 

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