"Im Pool vor dem erleuchteten
Plattenbau trieben aufblasbare Zebras und leere Rotkäppchensektflaschen.
Der Steg wippte unter zuckenden Leibern. Wild, sexy, ekstatisch
- diese Jugend trieb die Sehnsucht nach Freiheit und echtem
Champagner. Im Festsaal entlockte ein irrer Musiker - eine Kreuzung
aus Leonardo DiCaprio und Gregor Gysi mit Federboa - einer restaurierten
Stalin-Orgel diabolische Klänge. Die Musik fuhr wie Blitze in
die Glieder. Man tanzte Boogie-Woogie oder den einbeinigen Puhdy.
Und hinter der Theke tigerte ein Bubikopf-Vamp mit Birnensilhouette
auf und ab. Wer beim Anblick der Bardame nicht sofort aus den
Latschen kippte, verlor spätestens nach einem Schluck ihres
zersetzenden Kirschvodka-Cocktails (Karl-Marx-Stadt Sling mit
Spreewaldgurke statt Olive) jedes Vertrauen in Partei und Kassenbrillen."
Die
orgiastischen Szenen stammen nicht etwa aus dem Kinofilm "Der
grosse Gatsby" nach dem Roman von F.Scott Fitzgerald, diesem
Schlüsselwerk der amerikanischen Literatur zu den Roaring Twenties.
Nein, die Schilderungen finden sich in dem reisserischen Buch
"Das frivole Leben der Angela M.", das ein deutsches
Schlüssellochwerk zum Aufstieg einer Bardame in den Boring Seventies
in der DDR zur Weltkanzlerin darstellt. Biografien sind im Gegensatz
zu moderner Lyrik hierzulande sehr beliebt. Täglich erscheinen
tonnenweise Enthüllungen über irgendwelche Talkshow-Parlamentarier
und C-Promis. Die meisten davon sind ungefähr so prickelnd wie
die Inhaltsangabe der Doktorarbeit von Angela Merkel ("Untersuchung
des Mechanismus von Zerfallreaktionen mit einfachem Bindungsbruch
und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanzen auf der Grundlage
quantenchemischer und statistischer Methoden").

Wer
noch keine Biografie von sich im Regal stehen hat, ist definitiv
gescheitert. Ist immer noch Bardame in der Leipziger Uni-Disco
oder wurde in das Kompetenzteam der SPD berufen. Was absurd
erscheint, denn nichts und niemand ist vor einer detailversessenen
Biografie sicher. Angela M. genauso wenig wie Hitlers Schäferhündin
("Blodis Vermächtnis") oder Richard Wagners juckender
Furunkel hinten links ("Wahnfried").
Den
typischen Biografisten erkennt man an seiner Lesehaltung. Der
Text wird nicht mit den Augen entziffert, sondern mit der Nase
erschnüffelt. Was mit den Jahren zu einer Defomation des Riechorgans
führen kann ("Biografie-Rüssel"). Von einer öffentlichkeitswirksamen
Amputation wird abgeraten, nicht jeder verdächtige Rüssel führt
zum Rufmord. Manchmal fördert die aus zwei Diktaturen vererbte
Lust zum Denunzieren tatsächlich auch Wissenwertes ans Licht.
In der Biografie über den Tagesschausprecher Tom Buhrow ("Mein
WDR") erfährt der Leser, dass dessen rätselhafte Mona-Lisa-Schmunzeln
beim Verlesen blutrünstigster Nachrichten nicht etwa einem genetisch
bedingten Zynismus geschuldet ist, sondern dem krankhaften Harndrang
zu Höherem. Interessant, nicht wahr?
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