Stichwort Steueroasen. Unsere
Redaktion, stets um Ausgleich bemüht, will nicht voreilig in
den Chor der Selbstgerechten einstimmen. Sie will nicht den
Stab über jene brechen, die ihre Kohle auf den Cayman Islands,
den britischen Jungferninseln oder auf den Seychellen gebunkert
haben. Sie will auch jenen Lesern gerecht werden, die in diesen
Tagen über eine Selbstanzeige nachdenken.
Lassen
Sie uns unsere kleine Sonntagspredigt mit dem folgenden Gedanken
beginnen: Ist der gemeine Steuerflüchtling nicht auch nur ein
Mensch, ein vom Fluchtreflex Getriebener? Wenn die Hatz auf
ihn so weiter geht, fürchten wir, bringt er nicht nur sein Geld
ausser Landes, sondern auch sich selbst. Dann unterscheidet
ihn von den Boatpeople nur, dass er seine Odysee statt auf einem
armseligen Klapperkahn auf einer 100-Meter-Yacht antritt.
Hand
aufs Herz. Sind wir nicht alle Flüchtlinge, gefangen im Meer
des Lebens? Wie oft haben wir uns in dieser Kolumne ins Zotenhafte
geflüchtet. Nicht um des Geldes wegen, wo denken Sie hin? Unsere
Beweggründe waren niederer Natur: Uns fiel einfach nichts ein.
Spätestens seit der amerikanischen TV-Serie um den zu Unrecht
des Mordes an seiner Frau beschuldigten Arzt Doktor Richard
Kimble aus den Sechzigern dürfte klat sein, dass eine Flucht
kein Schuldeingeständnis ist.

Wir,
die wir an das Gute glauben, sind uns sicher, dass bestimmt
auch ein paar ehrbare Betrüger im Heer der Steuerflüchtige zu
finden sind, die nach dem Devise "Geld verdirbt den Charakter"
den Staat und seine Bürger erst gar nicht in Versuchung bringen
wollten.
Wir täten all den Oligarchen,
Waffenhändlern, Drogendealern, Finanzjongleuren, Diktatoren
und deutschen Millionären unrecht, wenn wir ihnen pauschal Gier
unterstellen, nur weil sie ihr Schwarzgeld in Übersee in Sicherheit
gebracht haben. Im einen oder anderen Fall mag das zutreffend
sein. Aber darf man alle über einen Kamm scheren?
Wer
weiss, vielleicht gibt es auch freundliche Drogendealer und
fürsorgliche Waffenschieber, die die ihre Barschaft nur für
ihre Kinder und Kindeskinder ausser Landes schaffen wollten,
damit die später einmal keine staatliche Stütze brauchen oder
ihren Lebensunterhalt nicht mit verbrecherischen Drecksgeschäfte
bestreiten müssen.
Was würde der Staat
auch machen mit dem ihm entgangenen Zaster? Das fragt sich nicht
nur die FDP, das fragen auch wir uns. Gut, er könnte damit Haushalts-
und Strassenlöcher stopfen, die eine oder andere unfallträchtige
Landstrassenkreuzung entschärfen und zum Kreisverkehr umbauen,
Kindertagesstätten einrichten, ein bisschen was an Witwen und
Waisen abgeben. Aber macht das die Menschen wirklich glücklich?
Die
entscheidene Frage ist doch die: Würde der Staat die wirklich
substanziellen Dinge im Leben anpacken und die Spritsteuer senken?
Wir fürchten, das würde er nicht tun.
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