Frühling: Spinnweben tanzen
ein klassisches Balett, paaren sich mit Staubfäden zu einer
Inszenierung kultivierter Verwahrlosung. Speisereste kleben
an Küchenschränken, durch halb blinde Fenster blinzelt fahl
die Sonne. Menschen wachen auf und fragen sich: Was jetzt? Gibt
es ein Leben nach dem Winter? In die aufsteigende Melancholie
mischt sich der drängende Wunsch, neu zu beginnen, eine Blume
zu pflücken, mit dem Fahrrad zu einer schönen Frau z fahren
oder endlich einen weinroten Anzug zu kaufen. Dann fällt der
Blick auf dieses reptilienhafte Wesen da in der Ecke, das seit
Monaten in einer Kauerstellung verharrt und seinen Rüssel um
sich gelegt hat. Wie kommt es in die Wohnung? Ist es gefährlich?
Was bedeutet die Aufschrift Siemens auf seinem Panzer? Erinnerungsfetzen
verbinden sich zu dem Begriff Staubsauger. Irgendwann einmal
fuhr man mit ihm durch die Wohnung und schickte Kleintiere,
Speisereste und Dreckpartikel in die verdiente Hölle des Staubbeutels.

Damit
beginnt das uralte Ritual des Frühjahrsputzes: Menschen erwecken
ihren Staubsauger zum Leben, streicheln versöhnlich über die
Wuscheln ihres lange vernachlässigten Wischmops und lassen Scheuermilch
in das Waschbecken tropfen, um den Kampf der Chemie mit Haaren
und Resten von Zahnseide zu beobachten. Ganz Europa verleiht
sich neuen Glanz. In den Banken werden Bilanzen aufpoliert,
Kleinsparer blicken sehnsüchtig zu den Wolken aus Goldstaub,
die sich über ihrem Kopf verflüchtigen, um am Ende vom Finanzminister
eines südlichen Krisenstaates aufgesaugt zu werden. Im Vatikan
gehen die Bediensteten mit riesigen Besen durch die Sixtinische
Kapelle, Michelangelos Gottvater deutet mit ausgestrecktem Finger
auf die Reste des Konklaves: Zerknüllte Stimmzettel, heimlich
eingeschmuggelte Schokoriegel und jene Brandfackeln von Lazio
Rom, die Rauch in vier verschiedenen Farben erzeugen können.
Im
Berliner Flughafen kann endlich jene Putzkolonne befreit werden,
die im Herbst bei dem Versuch, die defekte Rauchgasanlage vor
den Blicken der Kontrolleure zu verstecken, eingemauert worden
war. Jauchzend brechen sie aus ihrem Verliess und stauben ab,
was das Zeug hält. Dabei werden einige tragende Mauern zum Einsturz
gebracht. Was nicht weiter schlimm ist, weil sie eh nichts zu
tragen haben. Allerdings dringen Reste von Essigreiniger in
die empfindliche Computeranlage ein und vergeben Frühbucherrabatte
bis ins Jahr 2034.

Ameisenhaft
ist der Prozess frühlingsbedingter Selbstreinigung bei der FDP.
Der jungenhafte Vorsitzende drückt einen Schwamm mit Antikalklauge
über dem Kopf seines knarzigen Parteifreundes aus und schwemmt
letzte Reste liberalen Gedankenguts aus dem Parteikörper. Dann
wettert er gegen jene Fuzzis, die sich vom Staat alimentieren
lassen und beim Putzen runde Ecken machen. Und wir? Wir starren
seit Jahren auf diese Fingerabdrücke auf unserem Bildschirm.
Aber auch damit ist jetzt Schluss!
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