Sie war schön, diese Woche.
Überraschend kam der Frühling nach Deutschland, Bäche murmelten,
Verliebte turtelten, und in den Strassencafés sassen FDP-Wähler
und rührten in ihren Latte-Bechern. Wie? Die FDP? Wieso ...?
Tja, machen wir uns nichts vor: Deutschland ist überschwemmt
mit Liberalen. Zwei Ereignisse haben diesen Trend sichtbar gemacht.
Zum einen die Wahl in einem sogenannten Flächenstaat (Flächenstaaten
sind so flach, dass man lange vor der Wahl bereits die Ergebnisse
sieht). Dort holte die FDP 9,9 Prozent. In WOrten neun Komma
neun Prozent. Also fast zehn. Jedenfalls viel mehr als neun.
Die FDP - holt - neun - Komma - neun - Prozent. Das heisst,
die Dunkelziffer liberaler Wähler ist höher als befürchtet.
Man
muss aufpassen, dass beim Spaziergang nicht ein Jungliberaler
vom Baum fällt oder beim Öffnen der Haustür nicht eine Welle
liberalen Gedankenguts in die Wohnung schwappt. Auf Dorffesten
und an den Hotelbars wird über den Satz "Freiheit ist immer
die Freiheit des Anderstrinkenden" philosophiert, auf den
Autobahnen bekommen Liberale eine eigene Überholspur, namhafte
Weingüter kreieren eine "Cuvée Silvaner Koch-Mehrin",
die feurige Tertiär-Aromen aus der Genschman-Traube und im Abgang
einen schwitzigen Nachgeschmack von Niebel-Mützen bereithält.

Endgültig
sichtbar wurde die liberale Neorenaissance durch die von Rainer
Brüderle mit gedankenscharfer Noblesse ins Gespräch geworfene
Satzfragmente zu einer Journalistin. Noch befasst sich das intellektuelle
Deutschland mit der Exegese, während der Urheber schmunzelnd
in seinem Partykeller sitzt. "Ich wüe in mein Tanzart anbütn",
hatte Brüderle einer Journalistin offenbart, die selbst als
intime FDP-Kennerin gilt (sie hat über die Problematik von Mann
und Maus bei John Stuart Mill promoviert). Und weiter: "Sie
künn ein Dirndl asfüllm." Schliesslich: "Mit jun faun
ken ich maus." Was bedeutet das alles? Dem Vernehmen nach
entwirrt eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe der Staatlichen
Weinbaudomäne Trier die Gedankenstränge.
Sicher
ist aber jetzt schon: Brüderles Worte reihen sich ein in die
grossen Reden, mit denen der deutsche Liberalismus die abendländische
Tradition der Politiktheorie um den kritischen Diskurs einer
auf die privatkapitalistischen Transferbewegungen ausgerichteten
Mehrdimensionalität und so weiter. Kurz: Büdele knüpft an seine
legendäre Bademantelrede auf der Prunksitzung der FDP Bachem-Saar
(oder Brebach-Fechingen?) Anfang der 80er Jahre an, mit der
er die Delegierten zu Begeisterungsstürmen hinriss und am Ende
ein Dutzend Weinköniginnen in die Reihen schleuderte. Das rhythmische
Skandieren "Wer hat sie angemacht? Wir haben sie angemacht!"
löst noch heute bei den Seniorenabenden im Dehler-Haus Schenkelklopfen
aus.

Seit dieser Woche ist also klar, dass
man wieder rechnen muss mit den Liberalen. Eine Partei, die
den Frühling in die Fussgängerzonen zaubert, ist zu allem fähig.
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