Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (27. Januar 2013)
 
Das Ende der Tanzkarte
 

   Bis vor kurzem war es für eine Frau in den besten Jahren (Jahrgang 45 und älter) ein Leichtes, erotische Bekanntschaften zu machen. Man ging bei einer Geschäftsreise abends in die Hotelbar, wo man dem Pianisten dezent einen Zehner in den Ausschnitt steckte, damit er "Sieben Fässer Wein" von Roland Kaiser aus den Tasten presste. Dann bestellte man einen vollmundigen Riesling aus der Pfalz, ging zuzelnd von Tisch zu Tisch, erzählte hier einen klebrigen Männerwitz, starrte dort auf eine behaarte Männerbrust und verteilte ordentlich Tanzkarten.

   Immer sassen dort einsame Männer, Journalisten auch, die viel zu jung waren, um zu wissen, was eine Tanzkarte ist, die aber verzweifelt genug dreinblickten, um mit einer im Holzfass gereiften Frau, die im Schummerlicht wie Rainer Brüderle mit burgunderrotem Lippenstift aussah, aufs Zimmer zu schwofen. Niemand nahm daran Anstoss. Nicht einmal Claudia Roth. So war das Leben in diesem liberalen Land: Wein, Weib und Gesang bis morgens um halb drei.

   Doch seit der Niedersachsenwahl ist alles anders. Überall wird schmutzige Spitzenwäsche gewaschen, lauern Sexismusvorwürfe und ekelhafte Enthüllungen. Seit US-Forscher herausgefunden haben wollen, das Männer sich nach Benutzung einer Toilette nur äusserst selten die Hände waschen, warnen Hinweisschilder unbedarfte Frauen vor dem Schütteln oder Streicheln aufdringlicher Herrenhände, auch wenn sie ein derartiges Exemplar - rein zufällig - auf ihrem Oberschenkel oder an der Hüfte entdecken. Alarmierte Ärzte raten, festgesaugte Männerfingern wie tropischen Blutegeln mit brennenden Zigaretten gehörig einzuheizen. Sie fallen dann von allein ab. Das Bedräufeln mit Zitronensaft oder Salz hilft dagegen nicht. Nichtraucherin Angela Merkel hat aus diesem Grund beschlossen, bis zur Bundestagswahl immer ein Feuerzeug in ihrer Handtasche mitzuführen, falls wieder mal ein FDP-Abgeordneter aus der Toilette im Reichstag tapst, um sie schnurstracks wegen einer Zweitstimme anzugrapschen.

   Die Verwirrung um den politisch korrekten Umgang der Geschlechter untereinander beschäftigt inzwischen auch die Sprachforscher. Sie empfehlen das sofortige Durchleuchten aller Kinderbücher hinsichtlich verdächtiger Wörter mit sexistischem oder rassistischem Beiklang. "Neger", "Zigeuner" oder "Brüderle" stehen ab sofort auf dem Index. Andere unter strenger Beobachtung stehende Begriffe wie "Männer" oder "Ironie" können, falls sie nicht allzu verschmutzt und verschwitzt sind, bei 95 Grad reingewaschen werden.

   Es sind ernste Zeiten. Als Mann weiss man nicht mehr, wie man sich die Hände und den Mund reinwaschen soll. Oder ob man eine Tanzkarte von einer älteren, frivolen Dame annehmen soll, auch wenn man garnicht weiss, was das ist und ob das Wort "Tanzkarte" nicht auch schon längst verboten ist. So bleibt einem nichts anderes übrig, als heimlich RTL zu gucken, erst recht jetzt, nach dem Dschungelcamp. Die trauen sich nämlich noch was. Sie sind die Einzigen.

 

Zurück