Ich wache auf. Die Werbung
im Radio empfiehlt mir, eine neue Heizungsanlage einbauen zu
lassen. Das sei gut für die Umwelt, und auch mein Geldbeutel
würde sich freuen. Mitten im Winter die Heizung auszutauschen?
Ich weiss nicht, ob das so eine gute Idee ist, denke ich. Muss
ich da tagelang bei dieser Affenkälte ohne Heizung auskommen?
Ausserdem, und das macht mir noch viel mehr Sorgen, kann sich
mein Geldbeutel momentan gar nicht freuen, denn er ist weg.
Verschwunden. Verloren. Geklaut.
Es
muss in der Strassnebahn passier sein. Ich hatte den Geldbeutel
in der Jackentasche, das weiss ich noch. Eine grosse Jackentasche
ohne Reissverschluss. Ich wollte beim Umsteigen an einem Kiosk
noch Zigaretten kaufen, deshalb hatte ich ihn nur so fahrlässig
verstaut,. Da kann man mal sehen, wie teuer das Rauchen ist.
Ich bin so blöd!
Beim Umsteigen war
der Geldbeutel dann plötzlich weg. Verschwunden. Verloren. Geklaut.
Die Welt ist schlecht, das weiss man ja - vor allem, wenn man
für eine Zeitung schreibt. Das Verbrechen lauert überall, und
selbst ein minderbemittelter Taschendieb hätte mir das Ding
problemlos wegfingern können, so locker wie der in der Tasche
lümmelte. Selber schuld, wird die Polizei sagen, das Ding sehen
sie nie wieder. Noch aber gehe ich nicht zur Polizei, noch habe
ich Hoffnung. Vor Jahren habe ich schon einmal meinen Geldbeutel
verloren - auf der Skipiste. Und igrendeine gute Fee hat ihn
gefunden und an der Talstation abgegeben. Mit allen Ausweisen
und dem ganzen Geld. Und es war viel Geld drin, denn Skifahren
ist teuer.
Ist die Welt wirklich schlechter
geworden, wie alle sagen? Auch dieses Mal ist recht viel Geld
in meinem Geldbeutel. Ich hatte für meine Eltern was Grösseres
übers Internet bestellt und der Einfachheit halber auch gleich
per Mausklick bezahlt. Meine Eltern gaben mir das Geld gleich
in bar. Rund 200 Euro. Ich frage meine Kinder: Würdet ihr einen
Geldbeutel, in dem rund 200 Euro drin sind, abgeben? Nö, sagen
die frech, das viele Geld würden wir uns nicht entgehen lassen,
da könne man so viele tolle Sachen für kaufen. Wer hat diese
kleinen Verbrecher eigentlich erzogen? Es stimmt schon: Die
Welt ist schlechter geworden, und immer mehr Eltern sind mit
der Erziehung total überfordert.
Mit
düsteren Gedanken über den Zustand der Welt im Allgemeinen und
meiner Welt im Besonderen zuckele ich mit der Bahn zur Arbeit.
Da klingelt mein Handy. Mein Geldbeutel sei abgegeben worden.
Mit allem drin. Von einem Mädchen an einem Kiosk. Oh, du wunderbares,
unbekanntes Mädchen! Hast bestimmt einen besseren Vater als
mich. Solange es Menschen wie dich gibt, ist noch nicht alles
verloren. Die Welt ist gut, ich hab's doch gewusst. Im Grunde
wollte ich das nur noch mal testen.
Ich
fahre zum Kiosk, umarme den Kioskbesitzer wie einen alten Freund
und gebe ihm 20 Euro Finderlohn. Ich drücke meinen Geldbeutel
an mich. Ich freue mich - und ich glaube, mein Geldbeutel freut
sich auch.
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