Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (20. Januar 2013)
 
Da freut sich der Geldbeutel
 

   Ich wache auf. Die Werbung im Radio empfiehlt mir, eine neue Heizungsanlage einbauen zu lassen. Das sei gut für die Umwelt, und auch mein Geldbeutel würde sich freuen. Mitten im Winter die Heizung auszutauschen? Ich weiss nicht, ob das so eine gute Idee ist, denke ich. Muss ich da tagelang bei dieser Affenkälte ohne Heizung auskommen? Ausserdem, und das macht mir noch viel mehr Sorgen, kann sich mein Geldbeutel momentan gar nicht freuen, denn er ist weg. Verschwunden. Verloren. Geklaut.

   Es muss in der Strassnebahn passier sein. Ich hatte den Geldbeutel in der Jackentasche, das weiss ich noch. Eine grosse Jackentasche ohne Reissverschluss. Ich wollte beim Umsteigen an einem Kiosk noch Zigaretten kaufen, deshalb hatte ich ihn nur so fahrlässig verstaut,. Da kann man mal sehen, wie teuer das Rauchen ist. Ich bin so blöd!

   Beim Umsteigen war der Geldbeutel dann plötzlich weg. Verschwunden. Verloren. Geklaut. Die Welt ist schlecht, das weiss man ja - vor allem, wenn man für eine Zeitung schreibt. Das Verbrechen lauert überall, und selbst ein minderbemittelter Taschendieb hätte mir das Ding problemlos wegfingern können, so locker wie der in der Tasche lümmelte. Selber schuld, wird die Polizei sagen, das Ding sehen sie nie wieder. Noch aber gehe ich nicht zur Polizei, noch habe ich Hoffnung. Vor Jahren habe ich schon einmal meinen Geldbeutel verloren - auf der Skipiste. Und igrendeine gute Fee hat ihn gefunden und an der Talstation abgegeben. Mit allen Ausweisen und dem ganzen Geld. Und es war viel Geld drin, denn Skifahren ist teuer.

   Ist die Welt wirklich schlechter geworden, wie alle sagen? Auch dieses Mal ist recht viel Geld in meinem Geldbeutel. Ich hatte für meine Eltern was Grösseres übers Internet bestellt und der Einfachheit halber auch gleich per Mausklick bezahlt. Meine Eltern gaben mir das Geld gleich in bar. Rund 200 Euro. Ich frage meine Kinder: Würdet ihr einen Geldbeutel, in dem rund 200 Euro drin sind, abgeben? Nö, sagen die frech, das viele Geld würden wir uns nicht entgehen lassen, da könne man so viele tolle Sachen für kaufen. Wer hat diese kleinen Verbrecher eigentlich erzogen? Es stimmt schon: Die Welt ist schlechter geworden, und immer mehr Eltern sind mit der Erziehung total überfordert.

   Mit düsteren Gedanken über den Zustand der Welt im Allgemeinen und meiner Welt im Besonderen zuckele ich mit der Bahn zur Arbeit. Da klingelt mein Handy. Mein Geldbeutel sei abgegeben worden. Mit allem drin. Von einem Mädchen an einem Kiosk. Oh, du wunderbares, unbekanntes Mädchen! Hast bestimmt einen besseren Vater als mich. Solange es Menschen wie dich gibt, ist noch nicht alles verloren. Die Welt ist gut, ich hab's doch gewusst. Im Grunde wollte ich das nur noch mal testen.

   Ich fahre zum Kiosk, umarme den Kioskbesitzer wie einen alten Freund und gebe ihm 20 Euro Finderlohn. Ich drücke meinen Geldbeutel an mich. Ich freue mich - und ich glaube, mein Geldbeutel freut sich auch.

 

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