Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (23. Dezember 2012)
 
Schock ist chic
 

   Wer nicht hören will, muss wühlen: Die Raucher Europas (immerhin noch ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung) werden spätetstens ab dem Jahr 2016 ihre alten Zigarettenetuis hervorkramen müssen, denn die EU-Kommision will, wie sie vergangene Woche bekanntgab, auf jede Zigarettenpackung künftig abschreckende Schockfotos drucken lassen. Das sind dann keine schöne Packungen mehr, da sind dann grössflächigr Raucherlungen drauf zu sehen oder verfaulte Zähne - oder vielleicht sogar der rauchende Altkanzler Helmut Schmidt (93), dessen Mentholzigaretten nebenbei gleich mit verboten werden.



   Die Tabakindustrie lässt sich das nicht gefallen. Nach Informationen von unserer Wirtschaftsredaktion will sie nun ihrerseits mit Schockfotos vor der EU warnen. Zu sehen sein wird dem Vernehmen nach unter anderem ein dickbäuchiger Beamter, der sich in einem Hochglanzbüro unsinnige Richtlinien ausdenkt. Darunter der Text: "Freiheitsberaubung made in Brüssel". Des Weiteren sind Schockfotos aus Griechenland ("keine gemeinsame Währung hinkriegen, aber aber uns Vorschriften machen") sowie von Edmund Stoiber ("Endstation Brüssel") geplant. Angedacht ist ein Sammelalbum, in das alle EU-Schockfotos eingeklebt werden können. Aus England liegen angeblich schon erste Vorbestellungen vor.

   In deutschen Wahlkämpfen werden Schockfotos schon seit längerem eingesetzt. Allerdings hat man sie bislang Wahlplakate genannt. Nun soll gezielter als bisher auch der politische Gegner angegangen werden: Steinbrück, wie er einen hochbezahlten Vortrag hält. Merkel als Heimchen vor dem Herd. Der Fantasie sind bei Schockfotos keine Grenzen gesetzt. Die FDP plant einen ganz schmutzigen Schockslogan, den sie unter das Foto eines Kuhfladen schreiben will: "Wer Grün wählt, Trittin die Scheisse". Die Grünen wollen mit einem Bild kontern, auf dem erschossene Hartz-IV-Empfänger auf einer staubigen Hauptstrasse zu sehen sein werden. Der kurze, einprägsame Titel: "Westernwelle".



   Das wirkliche Schockierende an den Schockfotos ist allerdings, dass sie offenbar so gut wie keine Wirkung haben. Die Nachrichtenagentur dpa liess kurz nach Veröffentlichung der EU-Pläne eine Psychologin namens Sabine Glock zu WOrt kommen, die sich mit dieser Frage beschäftigt. Bei Experimenten seien die Schockfotos zwar als bedrohlich wahrgenommen worden, sagte Glock. "Aber bei den Bildern mit ihrer drastischen Darstellung kommt es auch oft zu nicht intendierten Wirkungen", so die 41-Jährige. Paradoxerweise würden manche Raucher danach eher mehr als weniger rauchen, weil: Die Betroffenen wollten sich instinktiv vor der Bedrohung schützen. Ihr Gedankengang laut Glock: "Ich verteidige mich dagegen und deshalb mache ich genau das Gegenteil von dem, was erwartet wird."

   Pardon, aber das klingt, als wäre es an den Haaren herbeigezogen. Glock arbeitet an der Universität Luxemburg. Die EU will künftig mit Schockfotos vor dieser Universität warnen.
 

 

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