O Tannenbaum, was hast Du
uns in all den Jahren hinters Licht geführt! Hast uns, vom Kerzenschein
mässig erhellt, im Dunkeln gelassen über das Gefahrenpotenzial,
dass in Dir lodert. Aber gut, man hätte draufkommen können,
dass da was nicht koscher ist. Von wegen "Wie grün sind
deine Blätter". Nadeln sind's!
Als
denkende Christenmenschen standen wir Dir nie unkritisch gegenüber.
Wir wussten, dass Du nadelst. Aber mein Gott, wir liessen Dir
das als lässliche Sünde durchgehen, schienen darin sogar menschliche
Züge zu erkennen. Fallen nicht auch unserereinem mit der Zeit
die Nadeln vom Kopf?

Natürlich
war uns klar, dass Gefahr in Verzug ist, sobald Du vom Kerzenlicht
beschienen wirst. Manche von uns haben auf Strom umgestellt,
auf grünen Strom, der wunderbar zu Deinem Kleid passt. Andere,
die die Finger vom offenen Feuer nicht lassen mochten, standen,
"O du fröhliche" hin oder her, am Heiligen Abend mit
Gartenschlauch und Wassereimer in der warmen Stube. Solchermassen
gerüstet, schienen wir den Risiken, die Du uns, o Tannenbaum,
bescherest, die Stirn bieten zu können.
Nun
aber hat der ADAC, in der Hochzeit der Christbaumbeschaffungsmassnahmen
und im Grunde wie alle Jahre wieder, Dir die Maske des schmucken,
harmlosen Festbegleiters vom Gesicht gerissen. Der ADAC hat
das getan, was er öfter schon mit Dir getan hat - wir aber hatten
es, von der Vorfreude aufs Fest betäubt, ausgeblendet. Also
hat Dich der ADAC auf das Dach eines Autoschlittens gebunden,
Dich mit einem besseren Bindfaden festgezurrt und ist mit Dir
gegen einen Poller gedonnert. In diesem Moment, o Tannenbaum,
ist uns klar geworden, was Du bist: Ein Geschoss, ein tödliches
gar. Bei solchen Szenen bekommt der Begriff Baumsterben mit
einem Schlag eine andere Färbung.
Plötzlich
kamen sie wieder hoch, die Bilder der Vergangenheit. Beim Christbaumhändler
vorm Supermarkt hatten wir Dich gekauft und Dich lässig, aber
nicht ohne Sinn fürs Ästhetische mit Lametta auf dem Autodach
fixiert. Nichts böses ahnend sind wir lösgedüst, mit "O
Tannenbaum" im Ohr und sechs Glühwein in der Birne. 80
Sachen mögen wir schon auf dem Tacho gehabt haben, als wir durch
die Tempo-30-Zone gerauscht sind. Nicht auszudenken, was für
einen Schaden Du bei einer Vollbremsung angerichtet hättest.

Angesichts
solcher Schreckensszenarien hat unsere Redaktion beschlossen,
gegen das Vergessen anzukämpfen und die Aktion "Christbäume
zu Pflugscharen" ins Leben gerufen. Wir sind kein strenggläubiger
Verein, nur eine lose Vereinigung von verantwortungsbewussten
Christbaumtransporteuren. Die einen haben sich einen Stammhalter
aufs Dach geschweisst, der den Baum auch noch bei einer Vollbremsung
von Tempo 240 im Zaum hält. Andere setzen beim Transport auf
Ochsenkarren. Und falls sich doch mal ein Baum vom Dach lösen
sollte, werdet ihr uns an unserem Warnruf erkennen: "Atännchen,
please!"
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