Neulich beim türkischen
Gemüsehändler an der Ecke. An der Kassse hat sich eine lange
Schlange gebildet. Die Auberginen in den Kisten sind weich wie
die Matschbirne eines Dynamo-Dresden-Fans. Es riecht nach Fauligem.
Die Ayranbecher sind seit Wochen abgelaufen. Eine brotblonde
deutsche Hausfrau mit einem Kind auf dem Arm verliert die Nerven
und schreit: "Beeil disch, Lan, sonst machisch disch Krankehaus,
Alta! Ischwör!" Der ältere Herr vor ihr dreht sich um und
sagt: "Pssst! Unterstehen Sie sich. Sehen Sie denn nicht?
Herr Özkan kann auf keinen Fall das Gemüse einscannen. Er liest."
Dann unterbricht der hinter der Kasse sitzende und im Kants
"Kritik der praktischen Vernunft" vertiefte Herr Özkan
seine Lektüre, schaut auf und zitiert den kategorischen Imperativ.

So
ungefähr hat es sich abgespielt - und zwar im Kopf von Repec
Tayyip Erdogan. Der türkische Premier träumte von einem Deutschland,
in dem seine Landsleute Hegel, Kant und Goethe verstehen. Eine
irre Vorstellung. Schliesslich können das nicht einmal ein Prozent
aller "Zeit"-Abonnenten mit Sesshaftigkeitshintergrund
von sich behaupten. Doch zeigt es wieder mal, dass der gemeine
Mensch nicht glücklich sein kann ohne ein gewisses Mass an praktischer
Unvernunft, ohne seine tägliche Walpurgisnacht. Wowereits Schönefelder
Luftnummer, der zu Tode gerommelte Mythos vom germanischen Edelsoldaten
- unsere faustischen Tageträume sind die süssen Schäume auf
dem bitteren Kaffe des Lebens. Wie viele Frauen träumen sicht
nicht allmorgendlich über die Tatsache hinweg, dass der Traummann
unter der Decke nicht der waschbrettharte Daniel Craig ist,
sondern ein pupsendes Halloween-Monster mit Waschbärenwampe?
Wie viele arbeitslose Ostdeutsche heissen Mandy oder Ronny,
weil ihre Eltern einst, das ergab eine Studie, nach Namen aus
dem Land der ihrer Träume suchten? Auch träumt die Feinschmeckerabteilung
der CSU mehr denn je von der altbajuwarischen Giftküche, als
man noch wusste, wie man aus gärendem Journalistenquark im Halsumdrehen
eine leicht verdauliche Werbepampe (Obatzter) anrührte.

Das
Anbatzen der Realität ist aber keine Erfindung einer bayerischen
Bananenrebuplik oder gar Amerikas, dem Land der Tellerwäscher
und Endzeitstürme. Nein, es ist eine urdeutsche Spezialität.
Längst vergessen die Zeiten, als noch gescheiterte Postkartenmaler
aus Braunau nach Berlin zogen, um ganz grosse Nummern zu werden.
Doch heute hat dieses Land das Träumen verlernt, Angela Merkel
sei Dank. Wo sie hinregiert und reintrötet, da fällt kein Auge
mehr zu. Im hegelianischen Wachkoma gibt es weder romantische
noch revolutionäre Träume. Bleibt lediglich die Hoffnung auf
den Weltgeist. Oder der Tipp: Taufen SIe ihr Kind nicht Mandy
oder Sandy, sondern Peer: Möglich, dass selbiges irgendwann
von den Stadtwerken Bochum einen Haufen Geld bekommt, für einen
Vortrag, in dem weder Hegel, Kant, noch Goethe vorkommen. Einfach
so. Ein deutscher Traum.
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