Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (21. Oktober 2012)
 
Sprung in die Tiefe des Raums
 

   Nachahmen bringt die Menschheit voran. Deshalb begrüssen wir es zutiefst, dass viele Büromenschen in Deutschland diese Woche auf ihren Schreibtisch gestiegen sind und den freien Fall mit Überschallgeschwindigkeit geübt haben.



   Von mehrtägigen Seminaren zu Themen wie "Leben und Sterben lassen - Sofortmassnahmen am Arbeitsplatz" oder "Lunge komm bald wieder - Brandschutz für Kettenraucher" sensibilisiert, gingen die meisten Arbeitsnehmer auf Nummer sicher. Sie baten vertrauenswürdige Kollegen, ihren Schreibtischstuhl festzuhalten, auf dass er nicht wegrolle, und erklommen so mühelos ihren Schreibtisch. Dort angekommen, baten sie ihre Helfer, einen Schritt zurückzutreten. Sie holten tief Luft, sprachen ein Gebet, schickten eine SMS an Frau und Kinder - und liessen sich in die Tiefe des Raumes fallen.

   Manche haben sich darüber gewundert, dass der Fall keine 4:19 Minuten gedauert hat. Vor allem ältere Arbeitsnehmer, die sich vorgenommen hatten, vor ihrem inneren Auge ihr Leben Revue passieren zu lassen, waren gedanklich aus dem Säuglingsalter noch nicht heraus, als ein harter Schlag sie auf den Boden der Realität zurückbrachte.

   Auch sämtliche Mitglieder unserer Redaktion sind dem Vorbild des österreichischen Extremsportlers Felix Baumgartner, 43, gefolgt und haben sich todesmutig vom Schreibtisch oder einem anderen Büromöbel in die Tiefe gestürzt. Nicht immer ging dabei alles glatt. "Ich habe sieben Jahre auf diesen Moment hingearbeitet", erinnert sich ein Sportredakteur an den bewegenden Moment, als er die oberste Stufe seines Ressortleiters erklommen hatte. "Und dann funktionierte plötzlich die Visierheizung nicht." Der Kollege sprang dennoch, seinem Vorbild Baumgartner folgend. Da er hinter dem beschlagenen Visier nichts sehen konnte, musste er sich später von umstehenden Kollegen beschreiben lassen, wie das aussieht, wenn ein Mensch im Trainingsanzug und Motorradhelm auf dem Kopf in einer Kanarischen Zwergdattelpalme landet und dabei eine Kaffeemaschine mit sich reisst.



   Das mag sich im ersten Moment vielleicht lächerlich anhören. Betriebspsychologen weissen aber darauf hin, dass so ein Sprung eine Bürogemeinschaft ähnlich zusammenschweisst wie der gemeinsam verbrachte Jahresurlaub in einem Klettergarten oder der Betriebsausflug von Versicherungsvertretern. Das Nachspielen von Baumgartners Rekordsprung ist nicht nur ein Segen für die Belegschaft, unterm Strich fördert es auch die Einheit Europas. Etliche Mitglieder unserer Redaktion haben im Lauf der Woche die österreichische Staatsbürgerschaft beantragt.

   In zahllosen Facebook-Einträgen ist dokumentiert, dass die Schreibtischspringer im Grunde das gleiche Extremerlebnis hatten. Sie sprangen, landeten hart - erst dann war ein Schrei zu hören. Das war der Beweis: Sie flogen schneller als der Schall.
 

 

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