Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (23. September 2012)
 
Der Poet
 

   Schade, dass junge Leute keine Zeitung mehr lesen. So werden sie das Folgende nie erfahren.

   Mit Kollegen sass ich diese Woche im Flughafen von Dublin. Wir warteten auf unseren Flieger und taten das, was Menschen gerne tun, wenn sie auf Flughäfen warten und nicht selbst fliegen müssen. Wir tranken Bier. In diesem Fall, das ist man dieser schönen Stadt Dublin schuldig, tranken wir irisches Bier.

   An unserem Tisch sass ein Ire, der in New York lebt. Auch der Ire versüsste sich die Wartezeit mit Biertrinken. Mein Englisch ist nicht besonders gut, aber ich hatte den Eindruck, dass der Mann schön länger wartete als wir. Als der Ire hörte, dass wir Journalisten seien, war er hoch erfreut - und verwundert. Es sei erstaunlich, sagte er, dass wir redeten und nicht mit Handtelefonen herumspielten.

   Der Ire wollte wissen, über was wir so schreiben und ob wir einen Poeten in unseren Reihen hätten. Ja, sagte eine Kollegin, und zeigte auf den jüngsten in der Runde. Dieser Kollege sei ein Poet. Ich habe noch nie einen Satz von dem Kollegen gelesen, aber rein äusserlich entsprach er am ehesten auch meinen Vorstellungen eines Dichters. Hochgewachsen, schmal, schwarze Kleidung, halblanges, dunkles Haar. Was nicht so ganz in mein Bild vom Poeten passt, ist, dass der junge Kollege schlagfertig und charmant ist. Vermutlich bin ich aldmodisch, aber in meiner Vorstellung erscheinen Poeten als düster und wortkarg.

   Ehrlich gesagt war ich ein wenig eifersüchtig. Ich hätte mir gewünscht, dass die Kollegin mich wenigstens als Poesianwärter ins Gespräch gebracht hätte. Aber gut, das wäre gelogen gewesen. Ich schreibe weder für die Ewigkeit, noch dafür, dass sich junge Leute meine Sätze auf die Brust tätowieren lassen. Ich schreibe, um reich zu werden. Die Poesie ist mir scheissegal.

   Auch wenn ich nicht so recht weiss, was junge Menschen aus diesem Text lernen können. Ich schätze, ich werde ihn abfotografieren und auf Facebook stellen.
 

 

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