Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (19. August 2012)
 
Aufräumen in Berlin
 

   Der Sommer ist die Zeit der Träume. Menschen werfen sich in durchglühten Schlafzimmern hin und her und delirieren ihre geheimsten Sehnsüchte. Da all unsere Redakteure eine Grundausbildung als Traumdeuter absolviert haben, sind sie in der Lage, in die Köpfe ihrer Mitmenschen zu schauen. Und da gibts mächtig was zu sehen. Berlins Bürgermeister Wowereit etwa, der vom perfekten Landeanflug auf seinen neuen Airport träumt. Unten schütteln die Einzelhändler leutselig die Fäuste, oben grüsst Ariel, der alte Luftbrückengeist, und wispert: "Du bist gut so. Gut so. Gut so." Dann setzt Wowereit auf und erwacht im nüchternen Secheck des Tegeler Flughafens, umringt von Aussendienstlern und Promilleurlaubern, die seinen Ring küssen wollen. Er wischt eine Träne ab, kauft eine Krawatte und fährt mit dem bus nach Hause.



   Wenige Kilometer entfernt schliesst die Hausherrin des Kanzleramts die Augen, während Udo Walz ihre Kopfhaut massiert. Sie träumt, der griechische Regierungschef läge mit einem goldenen Apfel im Mund auf einem Silbertablett und böte sich ihr dar. Doch als sie seine Taschen leeren will, steigen Faulgase auf, der Apfel entpuppt sich als Handy, auf dem gerade der Fraktionsgeschäftsführer irgendeiner Opposition anruft und seinen Widerstand gegen ein neues Sonderhaftungsprogramm für die Altschulden Rumäniens ankündigt.

   Lieblicher sind die Träume unserer Wirtschaftsexperten. Ifo-Prophet Hans Werner Sinn krault nasal schnarchend seinen Kinnbarrt, während ihm neue Unfehlbarkeitsgedanken zufliegen. 25 muskolöse Sterndeuter seines Instituts ziehen ihn auf einem geschmückten Wagen durch die Republik. Für jeden Bürger hat er ein persönliches Zukunftsdrama bereit. Kasandra, die alte Optimistin - immer noch ein begehrenswertes Weib -, kuschelt sich an ihn.

   Hoppla, da wird uns noch ein Traum in die Redaktion geblasen. Ein Geflüster und Getuschel, aus dem die Worte Tacho, Tusche, Tinte dringen. Dann taucht ein riesiger Schlapphut auf, der das ganze Gebrabbel erstickt. Unter dem Hut detonieren Handgranaten, fallen Schüsse, werden staatsfeindliche Parolen gebrüllt. Noch hält der Schlapphut dicht. Nur das Codewort, wie heisst das verdammte Codewort? Käsestulle? Kehrschaufel? Kaminfeger? Kandahar? Halbe Treppe? Hanfpfeife? Zu spät! Der Schlapphut fliegt auf und die ganze eitergelbe Gedankenpost entweicht in die Luft.



   Davon merkt Horst Seehofer nichts, der nach dem Weisswurstfrühstück in der sonnendurchglühten Staatskanzlei vor sich hindöst. Tolle Trugbilder geistern ihm durch den Kopf. Aufräumen in Berlin, murmelt er im Schlaf und sieht sich mit entblösstem Oberkörper auf dem Balkon des Kanzleramts stehen: Der Balotelli der deutschen Politik.Nicht nachdenken, reinmachen! "Reinmachen!", schreit er. Markus Söder schenkt ihm Weissbier nach. Er schläft wieder ein.

   Wie? Auch Sie sind über diesem Text eingeschlafen? Gut so. Der Traum ist die schönste Realität.
 

 

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