Ein liebenswürdiger Kollege
hat mir neulich erzählich, dass er meine letzte Kolumne seinem
Sohn vorgelesen hat. Die Kolumne war nicht ausdrücklich für
Kinder geschrieben, umso mehr hat mich das gefreut. Der Text
handelte von Schildkröten.
Ich bin
mir nicht sicher, ob der Kollege diesen Text auch seinem Sohn
vorlesen sollte. Vielleicht liest er ihn vorher selbst und entscheidet
dann. Aber vielleicht ist es auch wurscht, meist sind die Kinder
weiter, als wir denken.

In
der Titelgeschichte des "Zeit-Magazins" steht diese
Woche das männliche Glied im Mittelpunkt. Ich schrieb bewusst
"männliches Glied". Man liest das oft, obwohl das
weibliche Glied die Ausnahme ist. Soweit ich das beurteilen
kann, vertritt die Autorin die Meinung, dass der Penis in der
Öffentlichkeit ein Schattendasein führt. Ob sie das überzeugend
begründet, vermag ich nicht zu beurteilen - ich habe den Text
nicht zu Ende gelesen. Er war mir zu lang.
Ich
vermute, dass er zu lang war, darf man nur als Mann ungestraft
über einen Penis-Text schreiben. Eine Frau würde man Penisneid
unterstellen.
Die seitenlange Abhandlung
beginnt so: "Welche Frau nicht das Glück hat, mit einem
Mann zusammen zu sein, bekommt selten einen Penis zu Gesicht.
Penisse lassen sich in der Öffentlichkeit kaum blicken."
Ich weiss nicht, in welchen Kreisen die Autorin verkehrt, aber
ich würde das auch für Vaginen unterschreiben.
Hätte
ich nicht damit rechnen müssen, dass dieser Text Kindern vorgelesen
wird, ich hätte die Penisdebatte womöglich mit dem Sommerloch
in Verbindung gebracht. Manchmal schützt der Jugendschutz auch
einen alten Mann vor sich selbst.
Einerseits
braucht das kein Mensch, denn es ist ein Irrtum anzunehmen,
dass unsere Welt durch die Zurschaustellung von Penissen, etwa
in der Werbung und in Schaufenstern, eine bessere wird. Andererseits
ist so eine Diskussion immer noch unterhaltsamer als dieses
ewige Rettungsschirmgelabere und bringt die armen Griechen aus
der Schusslinie.
Das Feld für eine
Penisdebatte ist auch deshalb bestellt, weil die Internetplattform
Facebook auf einen "Zeit"-Hinweis wie ein erzkonserativer
amerikanischer Präsidentenkandidat reagierte. Sie löschte ein
Foto mit einem nackten Mann, obwohl sein Gemächt darauf eher
zu erahnen als zu sehen war.

Da
ich seit einiger Zeit unter einem Decknamen ebenfalls auf Facebook
unterwegs bin, wollte ich ich diesem Anschlag auf die Pressefreiheit
auf den Grund gehen. Ich veröffentliche Texte, in denen ebenfalls
ein Penis auftaucht, nicht im Bild, nur im Wort. Auch ein Sommergedicht
war darunter. Keiner dieser Texte erregte bei den Sittenwächter
von Facebook Anstoss. Das ist umso erstaunlicher, als es vermutlich
einfacher ist, einen Penis in einem Text als einen in einem
Bild aufzustöbern. Wenn diese Erkenntniss die Penisdebatte beflügelt,
würde mich das freuen.
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