Der gemeine Mann mag aufgeatmet
haben, als er las: "George ist tot." Schon wieder
ein Mitbewerber weniger, dachte er, obwohl er nichts gegen George
Clooney hat und dessen Auftritte als Dr. Ross in der US-Fernsehserie
"Emergency Room" sogar sympathisch fand.
Im
Kleingedruckten wurde ihm klar, um welchen George es sich handelte.
Lonesome George, der einsame George, war eine Riesenschildkröte
und der bekannteste Bewohner der Galapagosinseln. George wurde
gerade mal 100 Jahre alt und aus Riesenschildkrötensicht im
besten Mannesalter aus dem Leben gerissen.

George,
der Vertreter der Riesenschildkröten-Unterart Chelonoidis abingdoni,
kann ein Attribut für sich in Anspruch nehmen, das sich so mancher
Mann gern ans Revers heften würde: Er war der Letzte seiner
Art. Ich fürchte, weder im Nachruf von Helmut Kohl, noch in
dem von Dieter Bohlen wird eine solche Formulierung zu finden
sein.
Seit mir in meiner Jugend eine
Rotwangen-Schildkröte (Trachemys scripte elegans) zugelaufen
ist, kennt meine Bewunderung für unsere gepanzerten Freunde
keine Grenzen. In meinem Testament habe ich verfügt: Sollte
ich jemals wiedergeboren werden, dann als Testudinata, so der
wissenschaftliche Name für die Schildkröte. Ob als Papua-Weichschildkröte
oder als Altwelt-Sumpfschildkröte, liess ich offen. Man will
dem lieben Gott nicht den Rest an schöpferischen Freiheit rauben.
Als
Schildkröte hat man das, wovon Campingfreunde nur träumen können:
Immer sein Haus dabei. Die Schildkröte ist, wenn man will, der
Holländer unter den Reptilien. An Land mag das Gehäuse lästig
sein und unbeholfen wirken, wer aber einmal eine Schildkröte
durchs Wasser gleiten sah, wie sie sich elegant in der Strömung
treiben lässt und die Flossen wie Flügel spreizt, der weiss,
was ich meine. Offenbar bin ich nicht der Einzige, dem Schildkröten
unter die Haut gehen: 90 Prozent aller Griechen, ergab eine
Umfrage, würden liebend gern mit Landschildkröten tauschen.
Das
eigentliche Faszinosum ist dies: Stundenlang in der Sonne zu
kliegen, dabei die Gliedmassen von sich strecken und niemals
sagen zu müssen: "Schatz, creme mir bitte den Rücken ein!"
Ein
Wort noch zum einsamen George, der eine Eigenschaft sein Eigen
nennen durfte, die nicht viele von uns für sich in Anspruch
nehmen können: George hatte Charakter, er war der Fels in der
Galapagos-Brandung. Immun gegen Leistungsdruck. Jahrelang hat
man versucht, ihm Schildkrötendamen unterzuschieben, auf dass
er das Überleben seiner Art sichere. Als deutscher Erzeuger
kann man ein Lied davon singen. Ständig wird einem eine Geburtenrate
von 1,6 Kindern pro Familie unter die Nase gerieben.

George
blieb standhaft. Vielleicht hatte er Spass mit den Damen. Immerhin
legten sie Eier. Aber nicht eines war befruchtet. George war
nicht nur der Letzte seiner Art. George war ein ganzer Kerl.
Er mag ausgestorben sein. Vergessen werden wir ihn nie.
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