Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (17. Juni 2012)
 
Die Zukunft hat acht Beine
 

   Diese Woche gab eine Wissenschaftsmeldung unter der Überschrift "Mehr Kondition ohne Genetalien" den Männern Anlass zur Hoffnung. Biologen wollen herausgefunden haben, dass viele Spinnenmännchen beim Akt ihre Sexualorgane verlieren, indem sie ihren Bulbi beherzt abbeissen und den ganzen Plunder einfach in den Epigastralfurchen der Weibchen stecken lassen würden. Was für ein Horror, denkt der Laie und schreit schon nach dem Sanitäter, während der Urologe frohlockt. Doch keine Sorge: Die Eunuchen seien  nach dem Verlust sogar die besseren Kämpfer, wenn es darum geht, ihr Weibchen gegen nachfolgende Konkurrenten zu verteidigen. Zudem hätten sie im Allgemeinen eine bessere Ausdauer in allen Lebenslagen.



   Und so stockt man mitten im verspäteten Frühjahrsputz, starrt beschämt aus dem Fenster und lässt seinen Staubsaugerrüssel erstmals traurig hängen. Die Leidenschaft beim Ausschlürfen der Ecken und Spalten, in denen zuhauf das Ungeziefer fröhlich umherspinnt, weicht nun einem tief empfundenen Respekt vor den Leistungen dieser possierlichen Vielbeiner. Von den Überlebensstrategien der Arachnida kann man einiges lernen - und viele Netzwerker tun es bereits. Man muss nur genau hinschauen.

   So verharren Millionen mit ihren dicken schwarz-rot-goldenen Hinterleibern tagelang regungslos vor den Fernsehern, fixieren zwei Netze und lassen aus ihren Mundwinkeln ein klebriges Verdauungssekret aus schalem Bier und Chips tröpfeln. Ein Blick in den prall gefüllten Schuhschrank der Mitbewohnerin nährt den lang gehegten Verdacht, bei der Frau handelt es sich um ein achtbeiniges Exemplar. Auch verwendet der Innenminister, der bisher auf dem rechten Auge blind zu sein schien, bei der Jagd auf staatsfeindliche Parasiten neuerdings hektisch durchdrehende Facettenaugen, mit denen er bei Razzien endlich nicht nur verlassene Spinnweben aufspürt.

   Draussen ziehen Jogger bis tief in die Nacht ihre Runden. Ihre Ausdauer verdanken die ausgemergelten Spinnenwesen der Einsicht, dass in unserer Dienstleistungsgesellschaft Sex überbewertet wird. Wer als Mann Burnout und Depressionen vermeiden will, sollte sich baldmöglichst selbst kastrieren und noch mehr joggen und Überstunden leisten als bisher, so lautet zumindest das Resümee des arbeitsgeberfreundlichen Gesundheitsreports des Robert-Bosch-Instituts, für die eintausend noch übergewichtige Büro-Weberknechte und Kantinenmilben befragt wurden.



   Abnehmen ist gesund. Weg mit dem Bulbi, heisst die neue politische Devise. In Brüssel, wo man sich angesichts des drohenden Ausgangs der griechischen Parlamentswahlen fragt, ob es nicht auch mal ohne ginge und man deswegen das sinnliche Land einfach in der Epigastralfurche Europas auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen könnte.

   Falls Sie sich nach der Lektüre dieser klebrigen Kolumne noch etwas schwerfällig fühlen, üben Sie endlich Verzicht. Beissen Sie sich durch! Und gehen Sie danach ein bisschen joggen.
 

 

Zurück