Ein Blick in den Rückspiegel
ist auch nicht das, was er mal war. Die Vergewisserung, dass
alles seine Ordnung hat. Immer öfter erkennt man darin etwas
Zottliges, Unheimliches, das einen verfolgt. Doch wer sich hinter
dieser schrecklichen, immer näher kommenden Fratze verbirgt,
ist auf die Schnelle nicht auszumachen. Einer dieser Höllenengel,
der beim Spurwechsel statt eines Blinkers eine abgesägte Schrotflinte
betätigt? Das zweite amoklaufende Gedicht von Günter Grass?
Josef Ackermann auf seinem Weg in die wohlverdienten Ferien?
Oder ist es doch nur die Sicht auf die eigene runzlig gewordene
Wackelrübe, die einem auf der Autobahn des Lebens kurz vor der
Ausfahrt plötzlich so alt und fremd erscheint?

Aber
nein, es ist ein guter Bekannter: Günter Wallraff in einem verbeulten
Sprinter. Wieder einmal rast der rasende Reporter wie entfesselt
durch unsere Medienlandschaft, putzt unsere Klingeln, unsere
Gewissensglöckchen. Wie üblich auf der linken Spur. Doch dieses
Mal ist er eindeutig zu weit gegangen. Maskiert als gut bestücktes,
slawisch aussehendes Zalando-Paket bringt er mit billiger Opfermasche
und verführerischem Migrantendeutsch unsere frustierten Hausfrauen
am späten Nachmittag dazu, vor Glück zu schreien, derweil wir
Männer und männerähnlichen Büroangestellten für einen Billiglohn
schuften. Ein Skandal. Umso wichtiger, dass rasch gehandelt
wird. Während Joachim Gauck die Rolle des Islams in unserer
ausgebeulten Sprintergesellschaft hinterfragt, fordert die SPD
die Einführung eines Mindestlohns für Enthüllungsjournalisten
von drei Euro. Die Grünen im Südwesten wollen das Kulturbudget
empfindlich kürzen und setzen auf eine grassierende Leseschwäche
der Bürger. Bücher von Amazon schaden sowieso nur der Umwelt,
heisst es in einer Erklärung; statt Goethe sollen die Kinder
Packungshinweise auf Bioprodukte lesen lernen. Interessant der
Vorschlag der CSU, der alle Probleme auf einmal löst: Ausbau
von mobilen Kindertagesstätten (Sprinter), auf die dann
eine saftige PKW-Maut (Herdprämie) erhoben wird. Fraglich, ob
diese Paketlösung konsensfähig ist.

Man
darf aber die Verdineste des beliebten Enthüllungsjournalisten
nicht ausser Acht lassen. Für viele engagierte Jungjournalisten
ist Wallraff neben dem grossen Auspacker Peter Scholl-Retour
bis heute ein Idol. Unzählige eifern ihm nach, verkleiden sich
für Undercover-Recherchen als Bäcker, Ali oder handelsüblicher
Sklave. Ein gefährliches Unterfangen. Die meisten kehren nie
wieder zurück in ihre Redaktionen, wohl auch deshalb nicht,
weil die Überstundenregelungen bei GLS besser sind.
Doch
nicht nur wir Redakteure warten auf ein aufwühlendes Enthüllungspaket
aus der Gosse. Nein, ganz Europa sehnt das nächste Klingeln
an der Tür herbei. der spanische Nachbar wartet auf das erste
Rettungspaket, der griechische zittert schon vor dem nächsten.
Jeder will sein Päckchen tragen, vor Glück schreien. Die Hauptsache
ist doch, dass geliefert wird. Egal, was.
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