Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (29. April 2012)
 
Die neue Landlust
 

   Der Frühling ist ein Sinnenrausch. Alles blüht, alles spriesst. Schon sieht man ihn allerorten wühlen und vertikutieren, den neuen Hobbygärtner. Längst haben die Schrebergärten den Ruf des Spiesserparadieses abgestreift. Wo früher echt deutsche Gartenzwerge in Randlagen diskriminiert wurden, trifft sich heute die agrikulturelle Boheme. Immer mehr Mittelschichtler pachten Parzellen, um sich ein Stück Natur zu gönnen. Ein Mann mit frischer Erde unter den Nägeln und viel Moos auf der Brust gilt als heisser Molch. Wessen Kind nicht mindestens 27 heimische Apfelsorten aufsagen kann, wird nicht zum Abitur zugelassen.



   Doch nicht jeder kann mit dieser Landlust mithalten, verstehth es, beim Bärlauchsnak einen luziden Small Talk über Primeln und Aurikeln zu führen. Täglich wuchern frische Trendgewächse, die unsere grüne Adern pochen lassen. Wussten Sie, dass das Artige Herdmütterchen (Viola kristinea prämiens), eine glat gebürstete Zierpflanzenart innerhalb der Familie der Unionsfrüchtchen ist? Infolge eines jahrzehntelangen feministischen Kunstdüngereinsatzes treten nun vermehrt herbizidresistente Varianten mit Wuchshöhen von bis zu 175 Zentimetern auf. Die hellblonden Blütenkronen sind schulterlang, bilden an ihren Unterseiten Kerben aus, die an Mutterverdienstkreuze erinnern. Sie verblühen rasch - im Gegensatz zum immer saftigen Wilden Stiefmütterchen aus dem Nachbargarten (Vorsichtig: Giftig!). Das Artige Herdmütterchen bevorzugt schattige Standorte: Ausländerfreie Spielplätze, klimatisierte Geländewagen und patriarchale Hinterstübchen. Solche Plätze sind nährstoffreich und gewinnorientiert. In der Volksmedizin gilt der Wurzelextrakt als Mittel gegen Unfruchtbarkeit. Gegenanzeigen? Brechreiz und linksseitiges Kopfschütteln.



   Beliebt ist auch der Gemeine Bayerische Wurstschwellkopf (Uliea Hoenessins), dessen intensiver Geruch nach zwiebligen Schweiss und ungewaschenen Unterhosen Baumärkte und Fussballkneipen durchwabert. Seine ledrige, fast kahle Knolle ist dünnlippig und fein gewimpert. Der Wurstsschwellkopf ist ein auf heimischen Rollrasen anzutreffender Duselknöterich, der in letzter Zeit auch in südeuropäischen Stadien üppig gedeiht. Er muss allabendlich mit schalem Bier gegossen werden, wobei man beachten sollte, dass der Übertopf nicht überläuft. Tipp: Die überschüssige Flüssigkeit kann an Häuserwänden abgeschlagen werden.



   Während die erwähnten Pflanzen leicht zu kultivieren sind, sei vor billiger Importware gewarnt. So birgt der Anbau der Nordfranzösischen Stinkmorchel (Frontella nationalis) eine Gefahr für die ökologische Vielfalt ihres Biotops. Letztere beherrscht die Kunst der Täuschung, sieht aus wie eine hübsche Rose, doch ihre Dolden produzieren keinen süssen Nektar, sondern ein giftig-klebriges Sekret, an dem fleissige pollensammelnde Insektenvölker aus aller Welt hängen bleiben. Am Ende bleibt nur noch eine fade Monokultur zu bewirtschaften, die keinen Frühling, keinen Hobbygärtner mehr ins Freie lockt.
 

 

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