Seit in Talkshows, Politzirkeln
und bildungsfernen Familien Doping freigegeben wurde, ist -
so wie in dieser Woche - halb Deutschland auf dem Fahrrad unterwegs.
Früher waren Radfahrer die Parias der Gesellschaft. Sie durften
von jedem, der schlechte Laune und eine Zehner-Erlaubniskarte
des Ordnungsamt hatte, mit altem Obst beworfen oder von der
Strasse auf einen mit zersplitterten Bierflaschen und toten
Kleintieren übersäten Radweg gedrängt werden.

Heute
dagegen gilt es bei den Urban Professionals als chic, wenn sich
im ersten Meeting der Anzugstoff von Strellson mit einer herben
Schweissnote mischt. Politiker torkeln für die Kameras minutenlang
auf eilfertig bereitgestellten Tourenrädern herum und lassen
sich dann ächzend in die Fauteuils ihrer Dienstwagen sinken.
Radkuriere befördern bis zu 456 Massendrucksachen durch die
Innenstädte, Muttis schleppen Kinder mit angstverzerrten Gesichtern
über die Radwege - und alle fühlen sich als gesellschaftliche
Avantgarde.
Für die Leser eines Zeitgeistmediums
wie dieser Kolumne ist es im Frühling wichtig zu wissen, wie
der Radfahrer politisch und gesellschaftlich verortet werden
kann. Die Grünen, als Pioniere des benzinfreien Zweiradverkehrs,
setzen bei ihren Rädern auf Bambusrahmen und ölen die Kette
mit einem Extrakt aus Kakaobohnen der Solidaritätsstufe 1B.
Banker, die in ihrem Lifestylemagazinen gelesen haben, dass
Retro-Bikes chic sind, lassen sich in Berlinern Hinterhöfen
Stahlrahmen zusammenschweissen und fahren dann ungebremst in
die nächste Krise. Radelnde Hinterbänkler der bürgerlichen Parteien
sind besonders gefährlich, weil sie jedes Bremsmanöver mit ihrer
Fraktion abstimmen müssen. FDP-Politiker fahren GPS-gestützt
jedem Mitelständler hinterher. Weil die Entfernungen zwischen
ihren Wählern immer grössser werden, wirken sie erschöpft und
verbittert, sind aber bombig in Form. Piraten gehen technologisch
voran und haben den Antrieb auf W-Lan umgestellt. Damit entfällt
die lästige Kette.

Wer
zu Frühjahrsbeginn mit dem Radfahren beginnen will, sollte sich
mit individueller Kleidung von der Masse abgrenzen. Kompressionsunterhemden
etwa pressen jede Bauchfalte auf ein Tausendstel ihres Volumens
zusammen - sie kann auch vom Laien danach mit der Fahrradpumpe
wieder in den Normalzustand gebracht werden. Wer sich zum ersten
Mal die Beine rasieren will, zieht sich in den Winkel einer
aufgegebenen Schlecker-Filiale zurück und wischt danach einmal
feucht durch. Grundsätzlich gilt: Wer radelt, muss kräftig essen!
Hähnchen im Schwiessbad oder blasierte Nudeln im buttrigen Tretlager
sind Klassiker der Radküche. Reiskugeln, gefüllt mit einem Amalgan
aus alten Fahrradreifen, können nich nur verzehrt, sondern auch
auf aggressive Autofahrer geschleudert werden. Bei jugendlichen
Grossstadtradlern ist Dreierlei vom Hanf angesagt - das wirkt
gleichermassen enthemmend wie entwässernd. Mit diesen Tipps
entlassen wir sie in die postmoderne Zweiradhölle.
|