Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (01. April 2012)
 
   Aprilscherz, lass nach
 


   Also, ich an Ihrer Stelle würde heute gar nichts glauben. Kein Wort. Heute ist 1. April. Da wird gescherzt, dass sich die Balken biegen. Selbst bei Säulen der deutschen Medienlandschaft wie der Tageszeitung kann man sich am 1. April nicht sicher sein, ob einem unter dem Deckmantel der Seriosität nicht ein Aprilscherz untergejubelt wird. Ich weiss nichts und möchte nichts verraten. ber die Ergebnisse der Fussball-Bundesliga sind ein gefundenes Fressen für Aprilscherzkekse.

   Ich kann nicht ausschliessen, dass es heute auf sämtlichen Seiten Ihrer Tageszeitung so zugeht wie sonst an dieser Stelle. Deshalb haben wir uns gedacht, es wäre originell, sich dem sich durchs Blatt ziehenden humoristischen Mainstream zu entziehen und diese Kolumne am 1. April zur garantiert aprilscherzfreien Zone zu erklären.

   Vor mir liegen die kürzlich bei Suhrkamp erschienenen Briefwechsel des Dichters Paul Celan mit "den rheinischen Freunden", namentlich den Herren Heinrich Böll, Paul Schallück und Rolf Schroers. Allesamt hatten sie sich der Schriftstellerei verschrieben. Da kann man sich denken, dassd a viel gebriefwechselt, aber wenig gescherzt wurde. Am 22.08.1956 beispielsweise schrieb Schroers aus dem nordrheinwestfälischen Flecken Obenroth an den im französischen Rochefort-en-Yvelines weilenden Celan: "Lieber Paul, die Arbeit frisst mich auf. Gestern sass ich hier bis 2.00 nachts mit unserem Hersteller an der Verlagszeitschrift, und wenn auch nicht so arg, es geht doch dauernd bis zur völligen Ermüdung."

   Manchmal fragt man sich, ob der Briefschreiber nur den Adressaten im Blick gehabt hat? Oder ob er dachte: Ach, das schreib ich jetzt einfach mal so hin, dass die Nachwelt sich darüber den Kopf zerbricht und was zum Editieren hat.



   Je länger man als schreibender Mensch in dem gut 770 Seiten starken Werk blättert, desto mehr kommen einem Zweifel an der eigenen Lebensführung. Wann hat man, vom Lohnsteuerjahresausgleich abgesehen, zuletzt selbst etwas zu Papier gebracht, das es wert war, zur Post getragen, frankiert und verschickt zu werden? Was wird von einem selbst an Schriftlichem bleiben? Zwei, drei Sprüche auf Facebook? Ein launiger Twitter-Eintrag? Eine an den Steuerberater fehlgeleitete E-Mail, die eigentlich für dessen Gattin bestimmt war?

   Zurück zum guten Buch. Das Auge bleibt auf einer Zeittafel hängen, Seite 712. Man erfährt, dass der Dichter Celan 1967 nach einem misslungenen Suizid und einem Mordversuch an seiner Frau, der Künstlerin Gisèle Celan-Lestrange, in eine psychiatrischen Klinik eingewiesen wurde. Im selben Jahr tritt der Schriftsteller Schroers in die FDP ein.

   An jedem anderen Sonntag im Jahr hätten wir das in dieser Kolumne zum Anlass übler Scherze genommen. Wir hätten uns gefragt, wer mehr dem Wahnsinn verfallen war. An jedem Sonntag hätten wir das getan. Nur heute nicht.
 

 

Zurück