Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (25. März 2012)
 
   Es werde Licht
 


   Haben Sie, liebe Leser, in dieser Woche bei einigen Mitbürgern dieses Leuchten über dem Kopf bemerkt? Diesen Schimmer, den man aus den Andachtsbildern des Mittelalters kennt? Dazu gesellte sich meist ein entrücktes Lächeln, das signalisiert: Ich komme von einer ethischen Hochebene, zu der du auch als Teilnehmer einer viermonatigen Expedition unter Anleitung eines protestantischen Geistlichen niemals Zutritt finden wirst. Wenn Sie dieses verheissungsvollen, zugleich aber auch bedrückenden Leuchtens (schliesslich verweist es uns Normalbürger auf unsere moralisch-ethische Wurmexistenz) ansichtig wurden, handelt es sich entweder um die Reklamefigur für einen Elektrofachmarkt oder um eine Lichtgestalt.

   Lichtgestalten sind in Deutschland schwer im Trend. Die Deutschen strecken sich nach ihnen, drängen sich in ihren sakralen Schimmer und gieren nach jedem rhetorischen Fingerschnippen. Jetzt wurden sie belohnt: Nach den niederschmetternden Erfahrungen mit dem Kurzzeitmieter in Schloss Bellevue wurde jetzt wieder eine Lichtgestalt im Herzen der Bundeshauptstadt implementiert.



   Dies sollte ein Anreiz für alle Deutsche sein, sich selbst zu einer, wenn auch auf kleinerer Flamme züngelnden Lichtexistenz weiterzuentwickeln. Und wer weiss, vielleicht  führt der Weg nach mannigfaltigen Umbrüchen und Wegscheiden doch noch bis an die Eingangspforte von Bellevue. DIeses Schloss ist zwar schwer zu heizen und liegt ungünstig - der nächste Aldi befindet sich einige Kilometer entfernt -, ist aber verglichen mit mit einer hypothekenbelasteten Dreiraumwohnung nicht zu verachten. Allerdings sei warnend hinzugefügt: Zur Lichtgestalt wird man nicht über Nacht. Auch viele Seminare, Wochenendkurse und Ratgeber ("Moral im Alltag in 15 Stichworten", "Scheidung als Chance" oder "Wir haben es geschafft: 15 Lichtgestalten erzählen aus ihrem Leben") versprechen oft mehr, als sie halten.

   Deshalb hier einige Tipps: Lichtgestalten folgen immer dem alten Gralsmotiv. Man sollte also schon wie Parzival durch die Büros der Investmentbanken, durch die Lager untergegangener Diktaturen oder wenigstens über die Terrains populärer Sportarten wie Biathlon gestreift sein, um sich dann im entscheidenen Moment, wenn alle Welt eine Lichtgestalt sucht und keine zur Hand ist, mit umwölkter Stirn ins Spiel zu bringen. Zu bedenken ist auch: Eine Lichtgestalt strahlt erst dann, wenn ein kleiner menschlicher Makel mit ihrem Schein konstrastiert. Ein oder zweimal die falsche Frau geheiratet oder die falsche Partei gewählt zu haben oder mindestens eine Vorliebe für kalorienreiche Desserts machen das Andachtsbild menschlich. Doch Vorsicht: Hände weg von Rabattmarken und Leihhandys. Das wird mit Kleinkariertheit gleichgesetzt und ist mit dem Image einer Lichtgestalt schlichtweg unvereinbar.

   Wer ob dieser hohen Ansprüche verzagt, sei getröstet. Wenn es mit der Lichtgestalt nix wird, kann man immer noch Lichtgestalter werden. Wer sich eifrig bemüht, schafft es vielleicht bis zur Parkraumbeleuchtung tief unter dem Schloss Bellevue.
 

 

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