Es wird heller
in Deutschland, ein Prickeln und Bitzeln erfüllt die Atmosphäre,
was unzweifelhaft auf das alljährliche Phänomen des Frühlingsbeginns
hindeutet. Der Frühling dauert noch drei Monate, wie es dann
weitergeht, ist angesichts der weltweiten Krise offen. Diese
Woche aber schickt er die Botenstoffe der Liebe in die entlegensten
Winkel unwirklicher Grossstädte, wo alsbald ein solches Schnäbeln
und Turteln, ein Zwitschern und Züngeln beginnt, dass altgediente
Platanen nicht mehr ausschlagen, sondern sich pikiert abwenden.
In den Eckkneipen strahlt die Sonne schräg in die Biergläser
und lässt Staubfäden tanzen. Männer halten sich trotz ihrer
Bauchfalten unwiderstehlich, Frauen holen mit Todesverachtung
knappe Röcke aus den Kleiderkammern.

Staubfäden
gibt es in Schloss Belevue nicht, und keine engen Röcke. Stattdessen
schaut sich ein soignierter älterer Herr sein künftiges Büro
an und arbeitet schon mal an einer seiner beliebten Jahrhundertreden
- diesmal zum Thema Frühling. Aus einem Karteikasten zieht er
Begriffe wie Tatkraft, Tristesse (befreien von), Mut, Schritt
(nächster), Unkultur (Erlösung von) und noch einige Beifallskärtchen
(immer minutenlang und stehend) und schliesslich die Schlusspointe
(Vertrauen auf Deutschland, Freiheit durch Vertrauen, Vertrauen
aus Freiheit, Vertrauen aus Freiheit, Deutschland als Land der
Freiheit, das Vertrauen verdient und umgekehrt). Flugs die frühlingshaften
Elemente eingestreut: Schwerer Tann (schüttle ab), blaues Band,
Veronika (ist da), Lenz und so weiter. Die Putzfrau räumt derweil
letzte Probeexemplate von Aschenbechern, Carrera-Rennbahnen
und Pfannen mit hitzebeständiger Antihaftversiegelung weg, die
sein Vorgänger hinterlassen hat.
Dieser
sitzt in einem verklinkerten Vorort von Hannover inmitten von
Umzugskartons und klebt Rabattmarken ein. "Frühlingsaktion:
Bei 3000 Punkten erhalten sie einen Pizzaofen oder einen Schokobrunnen",
schreit es aus der Werbung einer Einzelhandelskette. Der Mann
strahlt: "Toll! Mal sehen, ob auch beides geht." Er
greift zum Telefon.

In
den Etagen der Investmentbanken dagegen ist der Frühling bereits
in die Kurse eingepreist. Heftig wird über die Zeit danach spekuliert.
Wird die allgemeine Luftfeuchtigkeit im August in den PIG-Staaten
von der Entwicklung des Euribors abweichen? Wie entwickeln sich
die neuen Differenzkontrakte, die mit der Schattenlänge der
Commerzbank im Herbst gehebelt werden? Lässt sich der Frühlingsbeginn
im kommenden Jahr mit Optionsscheinen in den April verschieben
und mit Futures auf die Krokusblüte absichern? Der Frühling
hält uns also fest in der Hand. Nun liegt es an jedem
Einzelnen, was er draus macht. Ein Gedicht ist das mindeste.
Hier die Stichworte: Kirschbaum, Blüte, Liebe, Bärlauch, Widder,
Eier (bunt), Samen (spriessen), Bodenfrost (in Tieflagen).
Übrigens:
Nicht alle jubeln über den Frühling. Wie man hört, haben die
Griechen ihren Frühling bereits zu einem Zinssatz von sechs
Prozent an den Märkten verkauft. Die Springanleihe kann noch
gezeichnet werden - in jedem sonnigen Strassencafé.
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