Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (15. Januar 2012)
 
   In memoriam Fernbedienung
 




   Nur noch ein paar Millionen Mal zappen, liebe Fernseher, dann ist es so weit. Dann wird ein Gerät, das alle Erfindungen der vergangenen 5000 Jahre in den Schatten stellt, ausgemustert. Oder sagen wir, zu Grabe getragen.

   Es ist schön, einen Schlagbohrer, einen Carport oder einen begehbaren Kleiderschrank zu besitzen. Aber was ist das im Vergleich zu einer Fernbedienung, deren Tage, wie diese Woche auf der Elektronikmesse CEC in Las Vegas bekannt wurde, gezählt sind.

   Tod und Fernbedienung, Theatergänger wissen es längst, liegen nah beieinander. Der bayerische Dramatiker Franz Xaver Kroetz liess in seinem 1985 uraufgeführten Fragment "Bauern sterben" eine Grossmutter im Fernsehsessel erkalten. In der leichenstarren Hand: Die Fernbedienung. Der Vater will ihr das Ding entreissen, und der Sohn brüllt:" Laßts ihra hoid die Fernbedienung, wos ihre Freid gwen is, laßdses ihra midnemma ins Baradis."

   Die Fernbedienung war immer mehr als ein Apparat zum Wechseln der Kanäle und zum Regeln der Lautstärke. Wer die Fernbedienung an seiner Seite wusste, hatte die Lufthoheit im Wohnzimmer. Er bestimmte, was lief.

   Im Vergleich zu ihrem Vorläufer, dem Pantoffel, war die Fernbedienung ein Quantensprung. Der Hausschuh taugte weniger zum Um- als zum Abschalten. Ein durchs Wohnzimmer fliegender Hausschuh war ein Zeichen des Protests, lange bevor in Kairo oder auf dem Stuttgarter Schlossplatz.

   Immer mehr Menschen in Deutschland und auf der Welt sagen: Wir wollen nicht nur alle paar Jahre über unsere Zukunft abstimmen. Wir wollen ständig teilhaben. Genau das haben viele von uns jahrzehntelang getan, oft unuzählige Male an einem Abend. Hinterher sanken sie erschöpft, manchmal frustriert ins Bett. Sie konnten sich sicher sein, alles herausgeholt zu haben aus der Kiste.

   Kaum etwas haben die Fernsehgewaltigen der Öffentlich-Rechtlichen und der Privaten so gefürchtet, wie die unscheinbare Tastatur. Mit ihr wurde der Kanalwechsel zum Kinderspiel. Wenn das TV-Programm heute so ist, haben wir das vor allem der Fernbedienung zu verdanken.

   Nun aber hören wir aus Las Vegas, dass es dem Ende zugeht. Die Totengräber der TV-Bedienung heissen: Gesten- und Sprachsteuerung. Die Gestensteuerung läuft so: Man steht vor der Glotze und rudert wie ein Einweiser auf dem Flugfeld, der einem Jumbo beim Einparken hilft, mit den Armen. Bei der Sprachsteuerung fragt man sich: Warum soll etwas, das beim Hund und Partner nicht geklappt hat, beim Fernseher funktionieren?

   Was uns als Fortschritt verkauft wird, ist in Wirklichkeit ein Rückschritt. Man stell sich nur mal vor: Die Kinder sind im Bett, und aus dem Wohnzimmer hören sie: "Jetzt bitte den Pornokanal!"

   Dem Vater in "Bauern sterben" gelingt es am Ende der Szene, der Leiche die Fernbedienung zu entreissen. Nun soll die Fernbedienung der Grossmutter nachfolgen und den Weg alles Irdischen gehen. Im Paradies kann sie abschalten vom Umschalten.
 

 

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