Bevor Sie diese Kolumne
lesen, nehmen Sie bitte den Rest der Zeitung und basteln sich
daraus einen Hut. Es muss ein grosser Hut werden, da wir uns
heute mit Ereignissen beschäftigen, die kaum unter einen Hut
passen.
Wenn der Kerzenschein nicht
trügt, dann wird es auf unseren Weihnachtsmärkten in diesem
Jahr ruhiger sein, als uns in den Wochen vor der Stillen Nacht
lieb sein kann. Budenbesitzer fürchten, dass nach einem Urteil
des Bundesgerichtshofs die Gebühren für das Abspielen von Weihnachtsliedern
in astronomische Höhen steigen, höher als der Stern von Bethlehem.
Deshalb sei das Einzige, was man heuer hören werde, das süsse
Klingen der Kassen.
Doch auch daran
gibt es Zweifel. Eine Strassenumfrage von unserer Redaktion
unter zwei Passanten auf dem Stuttgarter Schlossplatz ergab,
dass bei der Mehrheit potenzieller Weihnachtsmarktbesucher erst
durch penetrantes Gedudel das Verlangen nach Glühwein geweckt
wird. Ein Gewährsmann mit roter Nase und Vollbart meinte, er
trinke sich "das Gedöns immer schön".
Ein
Weihnachtsmarkt ohne Weihnachtslieder ist wie ein Verfassungsschutz
ohne V-Mann. Sie meinen, der Vergleich hinke, er sei an den
Barthaaren vom Nikolaus herbeigezogen? Warten Sie's ab. Je lauter
ein V-Mann singt, desto besser wird die Stimmung bei der Behörde
und je mehr wird dort dem Alkohol zugesprochen. Der EInzige,
der nüchtern bleibt, ist der V-Mann, weil der zuvor seinen gerechten
Lohn erhalten hat: Ein Schnitzel fürSpitzel.

Eigentlich
wollte ich an dieser Stelle ein Loblied auf alle singenden V-Leute
anstimmen. Ein Kollege aus der Politischen Redaktion hat davon
abgeraten. Man wisse bei den Kameraden nie genau. woran man
sei. Ihm seien aus dem Osten der Republik Abhörprotokolle zugespielt
worden, die die vorweihnachtliche Stimmung im rechtsradikalen
Milieu dokumentierten. Auffallend oft sei dort zu hören: "Nu,
biste eiun V-Mann? Oder ein normaler Nazi?"
Selbst
erfahrene Verfassungsschützer werden von Selbstzweifeln zermürbt.
Wie war das noch mal? Sollten sie die Verfassung schützen? Oder
ihre Spitzel vor der Verfassung?
Nicht
in jedem Fall, behauptet der Bundesverband wohlwollender Therapeuten,
sei bei jungen Menschen, die in den braunen Dunstkreis geraten
seien, Hopfen und Malz verloren. Manche müssten nur auf die
Couch: "Na, wo drückt der Springerstiefel?"
Unsere
Redaktion hat die Erkenntnisse der vergangenen Woche zum Anlass
genommen, um die Beziehung zu ihren V-Leuten aufzufrischen.
Wir wollten das Feld nicht den geheimdienstlichen Geheimniskrämern
überlassen. Unsere V-Leute sind politisch unverdächtig. Wir
setzen sie, der Namen lässt erahnen, vorwiegend im Vermischten
ein.
Bei unserer Strassenumfrage haben
wir uns nichtt nur nach der Befindlichkeit bezüglich der Weihnachtsmarktklänge
erkundigt. Wir wollten auch wissen, woran man einen V-Mann erkennt.
Am Auto, meinte eine Passantin, ein V-Mann fahre für gewöhnlich
einen VW. Der Mann mit der roten Nase und dem Bart sagte: "An
seiner Vau."
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