Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (06. November 2011)
 
   Auf verlorenem Posten
 

   Es gab in Deutschland eine Zeit, da wusste jedes Kleinkind, wie viele Gulaschkanonen eine mechanisierte Division hat, wie viele Quadratkilometer mit einer Streubombe verwüstet werden können und wie viele Schuss pro Minute ein luftgekühltes MG raushaut. Junge Männer schlugen in den Kasernen zwar keine Gegner, aber jede Menge Zeit tot und wurden in allen Teilbereichen der Alkoholvernichtung ausgebildet. Diese Tradition ist mit der grössten Wehrreform seit der Auflösung der 6. Armee in Stalingrad abgerissen. Generäle strecken ihre Nase aus den Kasernentoren und stellen fest, dass da draussen Gebäude ohne Stacheldraht gibt und die Wachhabenden Hausmeister heissen. Kaum dass sie sich umgedreht haben, sind sie pensioniert und ihre Armeen auf Schulklassengrösse geschrumpft. Kanonen werden zu Abwasserrohren, Stahlhelme zu Woks umgearbeitet.



   Der Schrumpfungsprozess folgt einer ausgefeilten Strategie: Kleinstposten sollen die unbeweglichen Grossverbände ersetzen und werden wie Pickel über das Anlitz des Landes verteilt. Unsere Wehrbereichsredaktion Süd hatte die Gelegenheit, die Kleinkampfgruppe Oswald (nach einem legendären Kammerpanzerjäger unter Friedrich dem Grossen) zu besuchen. Dieser Ein-Mann-Posten wurde aus der 4. Reichskavallerie-Brigade, der Aufklärungskompanie Kolle, dem Potsdamer Brieftaubengeschwader und der Preussischen Kadettenzuchtanlage formiert. Er befindet sich in einem Ort, der ähnlich wie Oberhatzenlohe und aus Geheimhaltungsgründen nicht genannt werden darf. Er liegt im unruhigen Grenzgebiet zwischen Thüringen und Hessen. Dort meldet sich der Schütze Harald P. jeden Morgen bei sich selbst zum Dienst. Die Stimmung ist schlecht. Der letzte Versorgungshubschrauber kam vor einer Woche und warf ein paar Bundesdrucksachen, Grüsse von den Lieben, Kondome und Eierhandgranaten ab. Die Ankündigung des Verteidigungsministers, er wolle Göhring heissen, wenn es ihm nicht gelinge, die Truppe aus der Luft zu versorgen, klingt da wie Hohn.

   Harald P. kabelt seinen allmorgendlichen Lagebericht an das Hauptquartier. Der Inhalt ist düster: Die Bevölkerung steht den einsamen Aussenposten feindlich gegenüber. Seit die Posten nur noch mit je einem Soldaten besetzt sind, verkaufen die die örtlichen Bäcker kaum noch Mohnstrudel und Schokohörnchen, der Bierumsatz der Gastronomie bröckelt. Die Truppe igelt sich ein und reagiert zunehmend nervös. Berichte über die kontrollierte Sprengung herumstehender Einkaufstüten mehren sich. Nur abends, wenn die Leuchtraketen aufsteigen und aus der Dunkelheit die Aura der Todesgefahr herüberweht, stellt sich noch die alte Landserromantik ein. Aber wie lange noch?



   In Berlin arbeitet man an Plänen, den Krieg nicht mehr imi Felde, sondern nur noch im Internet auszutragen. Harald P. dagegen träumt von Sturmangriffen, Panzerkeilen und Kesselschlachten. Es sind die Schlachten von gestern. Bald wird aus seinem Aussenposten eine Aldi-Filiale, während er an den Händen eines Sozialarbeiters die ersten Schritte ins Zivilleben machen wird. Es droht ein fürchterlicher Frieden.
 

 

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