Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (18. September 2011)
 
   Entdeck den Ötzi in dir!
 

   20 Jahre sind vergangen, seit "Ötzi", dieser Typ mit den markanten Zügen, dem Siebentage-Zottelbart, Lendenschurz und 200-Liter-Fjäll-Räven-Rucksack, in Tirol ertmals von zwei sichtlich erregten RTL-Almbäuerinnen gesichtet wurde. Seitdem ranken sich zahllose Mythen um die Work-Life-Balance dieser Feuchtmumie. Das Interesse an diesem Outdoor-Gott ist ungebrochen, seine Kleidung und Ausrüstung wurde millionenfach kopiert. Wer im Raubtierkapitalismus überleben will, geht nicht ohne rhetorische Beilklinge und einem Köcher voller Giftpfeile aus dem Haus. Überall lauern wild gewordene Daxe, testosterongestörte Börsenbullen und katastrophierte Lemminge. Und gegen den Verlust finanzieller Bodenhaftung inmitten niederstürzender Aktienlawinen helfen nur noch Trekkingsandalen und Tchibo.

   Investigative Frauenzeitschriften wie "Zeit" und "Landlust" versuchen indes seit langem Ötzis DNA mit dem Pürierstab zu sequenzieren, um das Rätsel seiner elastischen, trotz ihrher 5300 Jahren ungemein zarten Haut zu lüften. Experten erklären sich seine Naturschönheit, die einen an das verwegene Erscheinungsbild des gefeierten Buchautors Thomas Anders ("100 Promille Anders") erinnert, mit der in der Jungsteinzeit häufig eingesetzten reichhaltigen Tagescreme aus Knoblauchrauken-Extrakt und Steinbockdung (mit Selbstbräuner). Damit die grobfaserige Bio-Organic-Pampe überhaupt einziehen konnte, musste man aber schon um vier Uhr morgens aufstehen und mit dem beidhändigen Einmassieren und Walken beginnen. Verstopfte Poren öffnet man, indem man seine ebenfalls stark behaarte Lebensgefährtin um eine rhytmische Verabreichung von Backpfeifen ("Ötztaler Ohrenschmaus") bat. Ein perfekter Work-out, weil es blitzartig wach macht und gleichzeitig einem die riesigen Schmeissfliegenschwärme vom Leibe hält. Für ein gründliches Ganzkörper-Waxing bleibt allerdings oft keine Zeit mehr.

   Damals wie heute litt ein Mann für die Schönheit. Gerade für einen Jäger im mittleren Management war es seinerzeit wichtig, täglich frisch auszusehen, auch bei auszehrenden Meetings im ewigen Eis stets seinen Mann zu stehen. Und auch bei beim spätabendlichen Get-together, bei einer Rindenmulchzigarre im Kreise anderer High Potentials und aggressiver Paarhufer, brauchte man eine perfekte Ausstrahlung.



   Doch just zum Jahrestag der Ötzi-Entdeckung häufen sich die Hinweise, dass die lederhäutige Stilikone gar nicht in einem Tiroler Museum haust, sondern mitten unter uns weilt, unter falscher Identitität. Als Tarnung verwendet er einen unverständlichen alpenländischen Dialekt. Manche vermuten Ötzi unter dem Gesichtspullover von Reinhold Messner. Einige vermuten ihn hinter der Maske des untergetauchten libyschen Diktators, und wiederum andere glauben, dass das in in die Politik zurückgekehrte "Ur-Vieh der CSU" (BILD) Peter Gauweiler der wahre Ötzi sei.

   Niemand weiss Genaues. Aber eines ist sicher: Ötzi war ein Mann wie du und ich. Er ging täglich in den Berg. Schmierte. Jagte. Kämpfte. Er versuchte sein Bestes. Aber am Ende war es nicht gut genug.

 

 

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