Der Herbst tut ja derzeit
das, was er im September meistens tut, wenn er nichts anderes
zu tun hat: Er steht nämlich vor der Tür. Das erkannte man diese
Woche daran, dass sich in den deutschen Wäldern Menschen im
lodengrünen Umhang mit breitkrempigen Hut tummeln, die aber
nicht Tiere töten oder verstümmeln, sondern Pilze suchen. Dieses
Treiben gilt als Megatrend der Postmoderne und wird von Soziologen
als die Jagd des kleinen Mannes bezeichnet.

Der
Pilz hat sich längst zu einem liebgewonnen Lebensgenossen des
Menschen entwickelt. War er in der Nachkriegszeit vorübergehend
von der Bildfläche verschwunden - man warf ihm sein kriecherisches
Gebaren während des braunen Spuks vor - ist er heute aus dem
öffentlichen Leben nicht wegzudenken. Pilze schaffen es regelmässig
in die Endrunde des Klagenfurters Literaturwettbewerbs, sie
saugen sich in den Parlamenten und den Grossraumbüros der Investmentbanken
fest. Wendepunkt im öffentlichen Ansehen der Mykologie war jenes
Schwarz-Weiss-Foto eines Atompilzes, das damals in jeder Arztpraxis
hing. Heute gilt der Pilz als der wahre Überlebenskünstler des
21. Jahrhunderts. Wetterwendisch in seinen Ansichten, unauffällig,
gewitzt, zu asexueller Lebensweise tendierend, dabei aber fleischlichen
Genüssen zugeneigt und meist wohlschmeckend. Kein Wunder, dass
sich Personaler und Partnervermittlungen um Pilze reissen.
Dennoch wirft die Pilzsuche für Normalbürger schwierige Fragen
auf. Welcher Pilz passt zu mir, fragen sich viele Liebhaber.
Nun, das hängt vom Einsatzbereich ab.
Wer
einen ruhigen und zurückgelehnten Gesprächspartner sucht, sollte
sich auf die Suche nach einem Birnenstäubling machen, der sich
auf dem zweiten Bildungsweg von einer niedrigen Pilzform zur
intellektuellen Speerspitze unter den Eukaryoten gemausert hat.
Er reisst jede Debatte an sich und antwortet auch auf Fragen,
die neimand gestellt hat. Der Hausschwamm wiederum (Serpula
lacrymans) wird wegen seines berechnenden Charakters eher gemieden.
Wer ihn einmal in der Stube hat, ihm vielleicht noch die Pin-Nummer
des eigenen Girokontos verrät oder eine Hälfte seiner Immobilie
überschreibt, wird böse überrascht. Serpula entfaltet ihre zerstörerische
Wirkung im Verborgenen - wenn man es merkt, ist alles schon
zu spät, und vom Konto sind nur noch braune Brösel übrig.

Der
gelbe Faltenschirmling gilt als klassischer Dekorationspilz
und erlebt im Zuge der Retrowelle in Wohnzimmern und Lofts ein
nicht geahntes Comeback. Ein klassisches Statussymbol für kinderloser
Yuppies ist der Samtfussrübling, den man oft auf dem Rücksitz
eines Geländewagens sieht. Nachts in der Lounge trägt er einen
abgeflachten schmierigen Hut, schmiegt sich an seine Besitzerin
und beeindruckt durch seine Fähigkeit, unbegrenzt blassgelbe
Drinks mit hohem Alkoholgehalt in sich hineinzuschütten. Ein
zinnoberroter Pustelpilz wiederum ist der ideale Spielgefährte
für Kinder. Seine toxische Ausscheidungen bringen die kleinen
Feger schnell zur Raison. Pilzliebhaber haben also die Qual
der Wahl. Wie immer man sich entscheidet: Wer in Zeiten der
Krise auf Pilze setzt, macht nichts falsch.
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