Es war vor 50 Jahren, als
in der Luft ein seltsames Zirren, Bizzeln und Schwirren lag,
als kindskopfgrosse Tomaten in den Kolonialwarenhandlungen auslagen
und die Menschen beim Blick in den Spiegel plötzlich ihr eigenes
Skelett und die Toilette im Nachbarhaus bewundern konnten. Wir
sprechen von der Geburtsstunde der Atomkraft, die in diesen
Tagen mit Begeisterung gefeiert wird.
Die
Älteren unter uns werden sich noch erinnern: Junge ehrgeizige
Wissenschaftler schweissten 1961 in einer Garage bei Garching
einen Siedewasserreaktor aus alten Panzertürmen, den Überresten
einer Molkerei und dem Vergaser eines Opel Kapitän zusammen.
Die eigentliche Kernspaltung fand dann in einem extradicken
Marmeladenglas ("Haltbar bis Kriegsende") statt. Die
erzeugte Energie reichte aus, um die Heissmangel der Wäscherei
Moosgruber drei Tage unter Dampf zu halten. Garching erlebte
einen rasanten Aufstieg zum Atomkurort, bevölkert von Touristen,
die sich Miniaturmodelle des Reaktors kauften, im Abklingbecken
kneippten und junge Frauen mit Atombusen bewunderten, einem
ersten Abfallprodukt der Kerntechnologie.
Atomminister
war übrigens Franz Josef Strauss, der in seinem Ministerium
dafür bekannt war, binnen Sekunden die Betriebstemperatur eines
Kernbrennstabs zu erreichen und jedes Bierzelt in ein Siedewasserbecken
politischen Volkstums zu verwandeln. Wer damals im Leitstand
eines Kraftwerks arbeiten durfte, hatte es geschafft. Er fuhr
einen Sportwagen, leistete sich wegen des Haarausfall ein schnittiges
Zweithaartoupet und ass Ragout aus Atompilzen.
Damit
nicht genug: Viele Künstler der deutschen Nachkriegsgeschichte
standen jahrelang unter Atomeinfluss. Die Gundremminger Gruppe
mit Otto Hahn und seinem epochalen Oratorienzyklus "Kraft
durch Wärme" mag stellvertretend genannt sein. Filme wie
"Warme Wasser" mit O. E. Hasse, "Störfall im
Silberwald" oder "Drei Männer im Kühlturm" strahlten
die überschäumende Lebensenergie jener Jahre auf das begeisterte
Publikum in den Lichtspielhäusern aus. Wer seinen Fortschrittsglauben
unter Beweis stellen wollte, nannet seine Tochter Turbine.

Über
die Jahre legte sich die Begeisterung und wich einem vertrauten
Miteinander. Atomkraftwerke verrichteten in den alltäglichsten
Situationen ihren Dienst. Sie heizten Gewächshäuser und Grossküchen,
verbrannten Geld und trieben Rasenmäher an, die auch schwierigstes
Gelände meisterten. In den Grundschulen wurden mit Taschenmessern
einfache Kernspaltungen durchgeführt, um die Kinder an die komplexe
Materie der Kernfusion heranzuführen.
Die
Wende zeichnete sich ab, als man Reaktoren neueren Typs mit
einer Ausstiegsvorkehrung versah, durch die man nicht nur den
Meiler, sondern auch die gesamte Atomkraft schnell verlassen
kann. Immer mehr Atomangestellte verliessen ihren Arbeitsplatz,
um einmal an die Sonne zu kommen, assen Eis, verliebten sich
und kehrten nicht zurück. Gott sei Dank ist unser Land ein für
alle Mal mit STrom versorgt - auch diese Redaktion glüht von
morgens bis abends und kann mit Wörtern nur so um sich werfen.
Nur leider sind wir für heute am Ende.
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