Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (26. Juni 2011)
 
   Unter Atomeinfluss
 

   Es war vor 50 Jahren, als in der Luft ein seltsames Zirren, Bizzeln und Schwirren lag, als kindskopfgrosse Tomaten in den Kolonialwarenhandlungen auslagen und die Menschen beim Blick in den Spiegel plötzlich ihr eigenes Skelett und die Toilette im Nachbarhaus bewundern konnten. Wir sprechen von der Geburtsstunde der Atomkraft, die in diesen Tagen mit Begeisterung gefeiert wird.

   Die Älteren unter uns werden sich noch erinnern: Junge ehrgeizige Wissenschaftler schweissten 1961 in einer Garage bei Garching einen Siedewasserreaktor aus alten Panzertürmen, den Überresten einer  Molkerei und dem Vergaser eines Opel Kapitän zusammen. Die eigentliche Kernspaltung fand dann in einem extradicken Marmeladenglas ("Haltbar bis Kriegsende") statt. Die erzeugte Energie reichte aus, um die Heissmangel der Wäscherei Moosgruber drei Tage unter Dampf zu halten. Garching erlebte einen rasanten Aufstieg zum Atomkurort, bevölkert von Touristen, die sich Miniaturmodelle des Reaktors kauften, im Abklingbecken kneippten und junge Frauen mit Atombusen bewunderten, einem ersten Abfallprodukt der Kerntechnologie.

   Atomminister war übrigens Franz Josef Strauss, der in seinem Ministerium dafür bekannt war, binnen Sekunden die Betriebstemperatur eines Kernbrennstabs zu erreichen und jedes Bierzelt in ein Siedewasserbecken politischen Volkstums zu verwandeln. Wer damals im Leitstand eines Kraftwerks arbeiten durfte, hatte es geschafft. Er fuhr einen Sportwagen, leistete sich wegen des Haarausfall ein schnittiges Zweithaartoupet und ass Ragout aus Atompilzen.

   Damit nicht genug: Viele Künstler der deutschen Nachkriegsgeschichte standen jahrelang unter Atomeinfluss. Die Gundremminger Gruppe mit Otto Hahn und seinem epochalen Oratorienzyklus "Kraft durch Wärme" mag stellvertretend genannt sein. Filme wie "Warme Wasser" mit O. E. Hasse, "Störfall im Silberwald" oder "Drei Männer im Kühlturm" strahlten die überschäumende Lebensenergie jener Jahre auf das begeisterte Publikum in den Lichtspielhäusern aus. Wer seinen Fortschrittsglauben unter Beweis stellen wollte, nannet seine Tochter Turbine.



   Über die Jahre legte sich die Begeisterung und wich einem vertrauten Miteinander. Atomkraftwerke verrichteten in den alltäglichsten Situationen ihren Dienst. Sie heizten Gewächshäuser und Grossküchen, verbrannten Geld und trieben Rasenmäher an, die auch schwierigstes Gelände meisterten. In den Grundschulen wurden mit Taschenmessern einfache Kernspaltungen durchgeführt, um die Kinder an die komplexe Materie der Kernfusion heranzuführen.

   Die Wende zeichnete sich ab, als man Reaktoren neueren Typs mit einer Ausstiegsvorkehrung versah, durch die man nicht nur den Meiler, sondern auch die gesamte Atomkraft schnell verlassen kann. Immer mehr Atomangestellte verliessen ihren Arbeitsplatz, um einmal an die Sonne zu kommen, assen Eis, verliebten sich und kehrten nicht zurück. Gott sei Dank ist unser Land ein für alle Mal mit STrom versorgt - auch diese Redaktion glüht von morgens bis abends und kann mit Wörtern nur so um sich werfen. Nur leider sind wir für heute am Ende.

 

 

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