Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (05. Juni 2011)
 
   Lieber Gurken- als Schurkenstaat
 

   Hand aufs Herz, kennen Sie ein einfühlsameres Wesen als sich selbst? Nein, ehrlich, ist kein Scherz. Also ich bin überzeugt davon, dass sich kein Mensch so sehr in ein anderes Wesen hineinversetzen kann wie der Mensch. In meinem persöhnlichen Umfeld beispielsweise gibt es wahnsinnig viele Leute, die fühlen mit  Käfern, Bäumen oder Kopfbahnhöfen. Auch wenn ich es nicht gern zugebe: Dafür beneide ich mein persöhnliches Umfeld. Mich selbst lassen Käfer, Bäume und Kopfbahnhöfe kalt.

   Aber bevor Sie, liebe Leser, den Stab über mich brechen: Auch mir ist ein Übermass an Einfühlungsvermögen nicht fremd. Und wenn Sie mir versprechen, dass Sie es für sich behalten und nicht lachen, dann verrate ich Ihnen sogar, mit wem ich fühle. Es ist nämlich so, dass ich ein Herz für Gurken habe.

   Mit einem Hang zu Gurken wird man nicht geboren. Ich glaube, so etwas muss wachsen. Mein Coming-out, wenn ich so sagen darf, hatte ich vor Jahren, als ich vor einem Anti-Aids-Plakat der Bundeszentrale für politische Aufklärung stand. Kennen Sie sicher auch, das sind die Dinger, auf denen eine Salatgurke zu sehen ist, der man ein Kondom übergestülpt hat. Schön, dachte ich, da kümmert sich jemand um das Wohl von uns Gurken. Da will uns einer schützen.

   Ich schwöre, dass ich "uns" gedacht habe. In dem Moment hat es mir zum ersten Mal gedämmert, wie nah mir die Gurke geht. Inzwischen könnte ich mir sogar vorstellen, dass ich in einem früheren Leben mal eine war. Das würde auch erklären, warum ich mich nach Kräften krümme - ist wohl eine Eigenart, die aus meinem Gurkendasein hängen geblieben ist. Ausserdem liesse sich damit erklären, warum ich mich gefreut habe, als die Europäische Union vor zweieinhalb Jahren der normgerecht gekrümmten EU-Gurke das Garaus gemacht hat. Nie wieder Gurken von der Stange! Endlich eine Freiheitsbewegung, auf die ich auch stehe!



   Die Feierlaune, das dürfte Sie kaum überraschen, ist mir nach den Ereignissen der vergangenen Tagen vergangen. Schon der blosse Verdacht hat ausgereicht, um meine Freunde, die Gurken, an den Pranger zu stellen. Es hätte nicht viel gefehlt und meine rot-grüne Landesregierung hätte ein Endlager für Gurken eingerichtet. Das kleinlaute Dementi zur Wochenmitte konnte meine Stimmung nicht heben. Inzwischen sehe ich das Anti-Aids-Plakat mit anderen Augen. Klarer Fall von Feindpropaganda. Nicht die Gurken will man schützen, sondern jene, die mit ihr in Berührung kommen.

   Aber ich will nicht jammern. Auch dieser Skandal wird bald gegessen sein, und man wird eine andere Gurke durchs Dorf treiben. Wir Gurkenfühligen haben schon schlimmeres überstanden. Ich sage nur: 16 Jahre Kohl.

   Ich glaube, ich spreche nicht nur für mich, sondern für alle Gurken dieser Welt, wenn ich Ihnen sage, dass die Zukunft lang und grün sein wird. Irgendwann werden wir in einer Welt leben, in der man eine schlecht spielende Fussballmannschaft nicht mehr ungestraft als Gurkentruppe bezeichnen darf. In der die Menschen den Unterschied zwischen einem Gurken- und einem Schurkenstaat erkennen werden.
 

 

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