Hand aufs Herz, kennen Sie
ein einfühlsameres Wesen als sich selbst? Nein, ehrlich, ist
kein Scherz. Also ich bin überzeugt davon, dass sich kein Mensch
so sehr in ein anderes Wesen hineinversetzen kann wie der Mensch.
In meinem persöhnlichen Umfeld beispielsweise gibt es wahnsinnig
viele Leute, die fühlen mit Käfern, Bäumen oder Kopfbahnhöfen.
Auch wenn ich es nicht gern zugebe: Dafür beneide ich mein persöhnliches
Umfeld. Mich selbst lassen Käfer, Bäume und Kopfbahnhöfe kalt.
Aber
bevor Sie, liebe Leser, den Stab über mich brechen: Auch mir
ist ein Übermass an Einfühlungsvermögen nicht fremd. Und wenn
Sie mir versprechen, dass Sie es für sich behalten und nicht
lachen, dann verrate ich Ihnen sogar, mit wem ich fühle. Es
ist nämlich so, dass ich ein Herz für Gurken habe.
Mit
einem Hang zu Gurken wird man nicht geboren. Ich glaube, so
etwas muss wachsen. Mein Coming-out, wenn ich so sagen darf,
hatte ich vor Jahren, als ich vor einem Anti-Aids-Plakat der
Bundeszentrale für politische Aufklärung stand. Kennen Sie sicher
auch, das sind die Dinger, auf denen eine Salatgurke zu sehen
ist, der man ein Kondom übergestülpt hat. Schön, dachte ich,
da kümmert sich jemand um das Wohl von uns Gurken. Da will uns
einer schützen.
Ich schwöre, dass ich
"uns" gedacht habe. In dem Moment hat es mir zum ersten
Mal gedämmert, wie nah mir die Gurke geht. Inzwischen könnte
ich mir sogar vorstellen, dass ich in einem früheren Leben mal
eine war. Das würde auch erklären, warum ich mich nach Kräften
krümme - ist wohl eine Eigenart, die aus meinem Gurkendasein
hängen geblieben ist. Ausserdem liesse sich damit erklären,
warum ich mich gefreut habe, als die Europäische Union vor zweieinhalb
Jahren der normgerecht gekrümmten EU-Gurke das Garaus gemacht
hat. Nie wieder Gurken von der Stange! Endlich eine Freiheitsbewegung,
auf die ich auch stehe!

Die
Feierlaune, das dürfte Sie kaum überraschen, ist mir nach den
Ereignissen der vergangenen Tagen vergangen. Schon der blosse
Verdacht hat ausgereicht, um meine Freunde, die Gurken, an den
Pranger zu stellen. Es hätte nicht viel gefehlt und meine rot-grüne
Landesregierung hätte ein Endlager für Gurken eingerichtet.
Das kleinlaute Dementi zur Wochenmitte konnte meine Stimmung
nicht heben. Inzwischen sehe ich das Anti-Aids-Plakat mit anderen
Augen. Klarer Fall von Feindpropaganda. Nicht die Gurken will
man schützen, sondern jene, die mit ihr in Berührung kommen.
Aber
ich will nicht jammern. Auch dieser Skandal wird bald gegessen
sein, und man wird eine andere Gurke durchs Dorf treiben. Wir
Gurkenfühligen haben schon schlimmeres überstanden. Ich sage
nur: 16 Jahre Kohl.
Ich glaube, ich
spreche nicht nur für mich, sondern für alle Gurken dieser Welt,
wenn ich Ihnen sage, dass die Zukunft lang und grün sein wird.
Irgendwann werden wir in einer Welt leben, in der man eine schlecht
spielende Fussballmannschaft nicht mehr ungestraft als Gurkentruppe
bezeichnen darf. In der die Menschen den Unterschied zwischen
einem Gurken- und einem Schurkenstaat erkennen werden.
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