Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (15. Mai 2011)
 
   Zahlen sind Schall und Rauch
 

   Jahrtausendelang glaubten zahllose Menschen, ihr Gott sei ein gütiger, älterer Herr mit einem langen Bart. Ein rätselhaftes Wesen mit übernatürlichen Kräften, das uns leitet, richtet und hoffen lässt. Gottes Herrlichkeit liess sich nicht in Zahlen fassen, kein Statistiker hat je herausbekommen, wie alt Gott tatsächlich ist, wie viele Quadratmeter seine Eigentumswolke hat und ob er einen Moslem als Untermieter beherbergt. Um Gott zu berechnen, brauchte es lediglich eine Zahl: Die Eins. Denn Gott sei, so steht es in der Bibel, einzigartig (5. Buch Mose, 6,4). Alles andere war heidnischer Zahlensalat.

   Doch dann kamen Friedrich Nietzsche ("Gott ist tot") und Joseph Ackermann ("Gott ist 25 Prozent") und erschütterten die Grundfesten unserer einfachen Glaubensalgebra. Seither sind die Menschen geradezu besessen von Quoten, Punkten und Prozenten. Gott ist nach Meinung vieler eine Zahl mit unendlich vielen Nullen.

   Man zählt unaufhörlich: Seine Facebook-Freunde, die Pfunde seiner Frau, die unbezahlten Überstunden. In Gelsenkirchen wurde diese Woche eine Marienerscheinung gemeldet, als die Ablösesumme für Manuel Neuer bekannt wurde: 50 Millionen! Eine Summe, die höher und mächtiger ist als das Bruttosozialprodukt von Griechenland und Burkina Faso zusammen. Noch grösser ist nur - wenn man den groben Schätzungen der "Bild"-Zeitung Glauben schenken darf - die Anzahl der geschobenen Nummern des Millionenerben und Erotikmathematikers Gunter Sachs (Siehe Bild). Ihm verdankt die Nachwelt auch die Liebesformel X+Y+Z=100. Um herauszubekommen, was es mit dieser pikanten Gleichung auf sich hat, haben wir den letzten lebenden Playboy unseres Hauses beauftragt, eine investigative, verlebte Null aus der Horoskopredaktion. Das Recherche-Ergebnis war prompt in der Endrunde für den Egon-Erwin-Kisch-Preis für die beste Zahlenkolonne.



   Auch will man selbst gezählt werden. Unbedingt. Vorbei die seligen Zeiten, als man sich nach ein bisschen metaphysischer Kaminwärme in einer intransparenten Reiheneckhausexistenz am Rande der Stadt sehnte und gegen Volkszählungen auf die Strasse ging. Heute träumen die jungen, zahlenverrückten Leute von einer kuscheligen, bezahlbaren Feldunterkunft mit Parkett und Stuck in einer bezahlbaren Excel-Tabelle.

   Und wer noch keinen Besuch hatte von den Zensus-Jüngern, beginnt erst die Stunden, dann die Tage zu zählen (so wie Guido Westerwelle), schliesslich führt man zerknirscht Selbstgespräche und leidet bald schon an einer bipolaren Störung mit Zahnfleischbluten. Was gut ist, schliesslich ist man heutzutage ein Niemand, wenn man nicht mindestens zwei oder noch mehr Identititäten aufweisen kann. So wie Lady Gaga. Oder Uli Hoeness.

   Doch Religionskritiker warnen bereits: Nicht jeder dahergekommenen karrieristischen Zahl soll man blindlings glauben, Zahlen seien auch nur Schall und Rauch. Zum Beispiel ergeben drei Juristen plus drei Promotionen nach Adam Riese noch lange keine drei Doktortitel, sondern exakt zwei Plagiate und einen Rücktritt. Wer's nicht glaubt, der kann ja nachzählen.
 

 

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