Als Ende März klar war,
dass er der erste grüne Ministerpräsident dieser Republik werden
würde, sagte Winfried Kretschmann den schönen Satz: "Ich
werde, wo es immer geht, die Leute mitnehmen." Das ist
der neueste Schrei: Menschen mitnehmen. Aber wie funktioniert
das?
Vergangenen Dienstag ging ein
junger Mann in eine Sparkasse in Kronau (Kreis Karlsruhe). Er
trug bunte Shorts, ein gestreiftes T-Shirt und eine Sonnenbrille.
Er sah also aus wie einer, der kein Wässerchen ausser dem im
Freibad trüben kann. Der junge Mann legte der Kasseriererin
am Schalter einen Zettel hin. "Achtung Überfall" stand
daraugf. Mehr nicht. Kein Komma, kein Ausrufezeichen, keine
näheren Anweisungen. Vor allem aber war der Mann nicht bewaffnet.
Das brachte sein Vorhaben endgültig zum Scheitern. Die Kassiererin
zeigte sich bockig, der Täter trollte sich. Und wenn sie ihn
nicht gefangen haben, dann versteckt er sich noch heute. Was
lernen wir daraus? Wer Menschen mitnehmen will, der braucht
unbedingt Autorität. Es muss ja nicht gleich eine Pistole sein.
Natürlich
hätte man von einer Bankangestellten auch erwarten können, dass
sie auf so einen Zettel anders reagiert und einfach mal ein
paar Scheine rüberschiebt. Trotz aller Unzulänglichkeiten in
Sprache und Auftritt war schliesslich klar, was der Täter wollte.
Doch darauf kann man sich nicht mehr verlassen. Ein Tankwart
in Filderstadt (Kreis Esslingen) hatte zum Beispiel vor etwa
einer Woche versucht, mangels eines ausreichenden Angebots seine
Kunden vom Super-Tanken anzuhalten. Er schraubte den Preis auf
9,99 Euro und brachte Warnhinweise an den Zapfsäulen an. Eindeutige
Signale eigentlich, die aber von zwei Kunden übersehen wurden.
Danach war die Aufregung gross, bis der Mineralölkonzern die
Kunden entschädigte. Merke: Wer Menschen mitnehmen will, muss
sich auch sehr, sehr klar und sehr, sehr einfach ausdrücken.
Und selbst dann werden es einige immer noch nicht verstehen.
 Menschen
mitnehmen - was heisst das überhaupt? In diesem Land werden
jeden Tag Menschen von anderen Menschen mitgenommen. Fahrgemeinschaften
nennt man das. Ist es das, was Herr Kretschmann meinte, als
er kürzlich davon redete, dass "weniger Autos natürlich
besser sind als mehr" und dass man neue Mobilitätskonzepte
bräuchte? Will er uns künftig alle in seinem erdgasbetriebenen
Mercedes mitnhmen? Oder sollen wir selbst nach Mitfahrern Ausschau
halten? Es gibt aber Menschen, die wollen nicht mitgenommen
werden, die sagen: Du, ich bin selber mit dem Auto da. Es gibt
Menschen, die Freude am Fahren haben. Genauso wie es Menschen
gibt, die bei 9,99 Euro tanken gehen oder die auf das Wort "Überfall"
nicht reagieren.
Wegen der Auto-Äusserung
hat Kretschmann im Autoland Baden-Württemberg mächtig Ärger
gekriegt. Auch sonst wird viel herumgemäkelt an ihm. In der
Opposition war Menschen mitnehmen halt einfacher, doch Kretschmann
bleibt dabei: Als er am Mittwoch den Koalitionsvertrag vorstellte,
versprach er erneut eine "Politik des Gehörtswerdens".
Der Dialog mit dem Bürger sei ihm keine Last, versichterte er.
Laut Augenzeugen sah er dabei allerdings schon ziemlich mitgenommen
aus.
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