Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (24. April 2011)
 
   Die Natur schlägt wild um sich
 

   Wer sich in diesen Tagen in den Vorgärten und Naherholungsgebieten herumtreibt, kommt in den Genuss eines Brilliantfeuerwerks an Sinneseindrücken. Die Natur tut das, was sie seit Jahrhunderten tut: Sie treibt und schlägt wild um sich und beschert jenen Bürgern schlaflose Nächte, denen die Ratenzahlungen für einen Spezialrasenmäher mit Blechgehäuse und separat zuschaltbarer Mähspindel im Magen liegen.

   Unsere Wissenschaftsredaktion ist gerüstet. Mit einem benzingetriebenen Zweitakt-Erdbohrer, der seine maximale Leistung bei 3600 Umdrehungen erreicht und 5,4 PS brutto leistet, sich dabei einer Getriebeuntersetzung von 85:1 bedient und sogar ein Wendegetriebe mit Rückwärtsgang aufweist und ... wo waren wir? Genau, wir arbeiteten uns also durch das Unterholz des deutschen Gartens und entdecken Spektakuläres: Die immergrüne Kretsch-Knorre etwa, im Politiktreibhaus oft schon totgesagt, gedieh bisher nur im Schatten katholischer Kirchenmauern. Jetzt streckt sie ihre drollige Weisshaarbürste in Amtsstuben und TV-Studios. Sie ist anspruchslos und lässt sich von jedem Laien gesundbeten. Der Tepco-Tränensack wiederum ursprünglich aus Japan stammend, verbeugt sich in alle Windrichtungen und bläst seine sinistren Ableger übers Land. Wer seine Nachbarn quälen will, fächelt die Pollen über den Zaun, wo sie rasch jedes Leben ersticken. Guido Reptans Wellen, der alerte kriechende Bodendecker, ist seit einigen Wochen ein gerngesehener Gast in der Grünen Tonne. Sein Artverwandter, der runzelige Wasserdost Ageratina altissima Brüderliensis, macht sich durch brabbelnde Windgeräusche bemerkbar und verlangt nach ordnungspolitisch angelegten Gartenanlagen. Dort wird er oft mit einem verlassenen Ameisenhügel verwechselt.


   Die Campanula Berlusconia gehört zu den immerbraunen Heuchelblumen, die abzuschneiden den Einsatz einer unbestechlichen Zweitakt-Heckenbrennschere mit 60 Zentimeter Schwertlänge erfordert. Wenn Campanula über den Zaun grinst und sich die Zweige an den Kopf klebt, murmelt mancher Gärtner nur noch das Gottseibeifuss. Der holländische Helianthus Gaal, ein gewaltiger Pilz, klammert sich in Sportkabinen fest und lässt dort immer wieder seine stinkende Haut fallen. Nach spätestens einem Jahr setzt er einen Eisenhut auf und wird vollends ungeniessbar. Im Baumarkt immer auf eine Ausstiegsklausel achten! Knudsen borea wiederum, eine muskulöse hyperaktive Flechte, gedeiht vor allem im Internet. Wer ihr etwas Persöhnliches in den Blütenkelch wirft, wird dies später bitter bereuen - dann weiss der ganze Garten davon. Schliesslich der aus der Cyreneika mit dem Wind des Wechsels hereingewehten Baumwürger Muhammar celastrus. Wer seiner Herr werden will, ruft am besten einen Fachbetrieb, der mit Boden-Luft-Raketen ausgestattet ist. Man sieht: Gartenarbeit ist nichts für Feiglinge. Es geht aber auch anders: Wer seine Sonntagszeitung zerkrümmelt und in Brackwasser einlegt, kann sich in spätestens zehn Jahren über seine halluzinogene Traube freuen, aus der ein schmackhafter Tee gebrüht werden kann. Der Sud löst ein rosarotes Lachen aus, das auch Kolumnen wie diese erträglich macht.
 

 

Zurück