Es ist wieder einaml an
der Zeit, sich dem Tanze zu widmen. Schon seit Jahrtausenden
lieben es die Menschen, sich rhythmisch zu Musik wie verunstaltete
Wahlplakate im Märzwind zu wiegen. Anfänglich waren es strenge
Riten, mit denen man die Götter milde stimmen wollte. Unsere
Vorfahren waren metaphysischer als wir. Sie schwoften barfüssig
auf Waldlichtungen, baten so um Fruchtbarkeit und Wohlstand,
stürzten sich leicht beschürzt in enthemmte Abenteuer, während
heute potenzielle Tanzpaare nach der Büroarbeit höchstens nackig
auf Ergometern oder hinter Rotweingläsern lallend in Ekstase
geraten.
Erst mit dem Aufkommen der
cartesianischen Tanzstunde ("Ich trete, also bin ich")
suchte man sein Heil nicht mehr in höheren Sphären, sondern
auf dem schweissigen Parkett. Man sah lediglich dann noch Sterne,
wenn einem jemand auf dem Hühnerauge eine Pirouette drehte.
Der Ton wurde rauer, der solidarische Gruppentanz kam aus der
Mode - und weder die Erfindung des Springschuhs noch der Ringelblumensalbe
konnte den schmerzvollen Niedergang verhindern. Deswegen gilt
vielen der Tanz heute als eine sinnlose Freizeitbeschäftigung,
so als würde man wieder mal unbezahlte Überstunden schieben,
diese leider hüftsteife Kolumne lesen oder den Abend mit RTL
verbringen.

Doch
dank der Entdeckungen auf der jüngsten Leipziger Buchmesse ist
ein frischer Wind zwischen den Zehen zu spüren. Den Trend setzen
die Meister der schwülen Salondichtung, etwa der neueste Wurf
des skandalumwitterten Erotomanen Gonorrhoe de Balzac, der in
"Tanz und Elend der Kurtisanen" den Leser auf eine
atemlose Reise durch den dampfenden Stöckelschuh einer "Crazy
Horse"-Tänzerin nach ihrem siebenstündigen Auftritt schickt.
Oder aber dieser herrlich ausgetretene Abwicklungsroman von
Martin Walzer, der in "Ehen in Phlillipsburg I" beschreibt,
wie ein sabbernder Greis und eine blutjunge Frau weiter im Dreivierteltakt
in ihrer bürgerlichen Doppelgarage kreisen, obwohl der Atomstrom
abgeschaltet ist.
Überall heisst es
nun "Let's dance!", die Tanzschulen spriessen aus
dem Boden wie die Pickel beim Abschlussball. Im Fussball ist
der Squaredance der letzte Schrei, auf ein unverständliches
Kommando hin ("Call") setzen sich zahllose Trainer
in Marsch und wechseln pfeifend ihre Positionen. Im Bundestag
wiederum hat die weltbekannte Choreografin Angelika Merkel den
Eiertanz zu neuem Leben erweckt. Dabei kommt es darauf an, mit
ruckartigen Sidesteps immer wieder links anzutäuschen, ohne
auf dem rechten Standbein das Gleichgewicht zu verlieren. Eine
komplizierte, überaus energieintensive Schrittfolge, die an
die gewagten Einlagen in "Dirty Dancing" erinnert.
Eine Alternative zu diesem riskanten Balanceakt offeriert man
im altbekannten Berliner Tanzstudio "Cem & Claudia",
wo eine seltene Eurythmie-Variante auf ungeahntes Interesse
stösst: Man tanzt ausgiebig, freilich ohne zu atmen, ohne sich
zu bewegen. Das spart wohl Energie. Wer es allerdings lässiger
mag, schaltet mal den Fernseher aus, zieht seine roten Schuhe
an und tanzt mit seiner Solartaschenlampe zu David Bowie einen
letzten gepflegten Stehblues. Let's dance!
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