
Der
Tag, an dem ich Pistolen giesse
1 Die
Party-Frage Was für eine Demütigung festzustellen: Ich
habe für den 31.12. keine Einladung. An kaum einen anderen Tag
im Jahr wird man so schnell zum MoF (Mensch ohne Freunde) und
erinnert sich an längst verdrängte Zeiten, in denen man beim
Sport immer übrig blieb. Anders herum ist's aber auch nix: Hat
man zu viele Party-Optionen, fällt die Wahl schwer, und die
verschmähten Gastgeber sind sauer. Bösester Fehler aber ist
es, selbst eine Party zu planen. Denn bis fünf vor zwölf will
sich kein Gast festlegen.
2 Das
Klamottenproblem Im Klamottenproblem spiegelt sich die ganze
Sylvestermisere: Das Fest ist einfach überbewertet. Weil es
etwas ganz Besonderes sein muss, zerrt man den paillettenbesetzten
Fummel aus der letzten Schrankecke und steht dann völlig overdressed,
schlotternd und mit einer billigen Flasche Sekt um zwölf in
der Kälte. Später stösst ein Besoffener das Rotweinglas um ...
3 Die
Gute-Laune-Doktrin Schlechte Zeiten für Oskars aus der Tonne:
Zum Jahhreswechsel muss man gefälligst hoffnungsvoll in die
Zukunft blicken. "Alles wird anders, alles wird gut."
Ich will ja niemanden den Spass verderben, aber: Erinnert sich
jemand an ein Sylvester, nach dem es besser wurde?
4 Der
Alkoholmissbrauch Womit wir beim Alkohol wären. Pessimisten
trinken sich de4n Sylvesterabend und das kommende Jahr sowieso
schön. Aber selbst Optimisten schaffen es, mit Schädelweh in
die Zukunft zu starten.
5 Das
Bleigiessen Im vergangenen Jahr hatte ich beim Bleigiessen
ein nettes kleines Glücksschwein als Figur - zumindestens solange
es noch in der Verpackung lag. Nach Schmelzen und Abkühlen im
Wasserbad wurde daraus eine Pistole. Noch Fragen?
6 Das
Verletzungsrisiko Kleiner Auszug aus dem persönlichen Unfallregister:
Jahreswechsel 1996/97: Halben Zahn an beim Trinken aus der Sektflasche
ausgeschlagen. 1998/99: Freuund in Notaufnahme begleitet. Er
wollte ein Tischfeuerwerk zünden. 2000/01: Gleichen Zahn noch
einmal ausgeschlagen (erneut aus der Flasche getrunken). 2002/03:
Manteltasche geht in Flammen auf, nachdem darin ein Kracher
gelandet war.
7 Die
wildfremden anderen Als wäre der Zwang zum Small Talk nicht schon
schlimm genug, lassen wir an Sylvester auch noch alle Hygienebedenken
fallen und werden Möchtegern-Sarkozys: Wildfremde Menschen wollen
umarmt, gebusselt und mit den herzlichsten Wünschen überschüttet
werden. Alter Franzosentrick: Nur so tun als ob.
8 Die
guten Vorsätze Um Wiederholungen zu vermeiden: Siehe Grund
Nr. 3
9 Der
Januar Zwangsläufig läutet Silvester einen der schlimmsten
Monate im Jahr ein: Den Saure-Gurken-Januar. Der Himmel ist
trist, die Abbuchungen auf dem Konto sind hoch. Und wer nicht
Ski fährt, langweilt sich.
10 Die
Botschaft im All Wenn um zwölf die Raketen steigen, verpuffen
am Himmel nicht nur Millionen Euro, sondern mindestens ebenso
viele SMS. Denn seit es Handys gibt, reicht es nicht mehr, die
Neujahrswünsche im Laufe des 1. Januar und in wieder nüchternem
Zustand zu verteilen. Nein, Punkt zwölf wollen die Lieben und
die weniger Lieben per Kurznachricht fürs neue Jahr beglückwünscht
werden. Doch die überlasteten Netze schicken unsere Neujahrsansprachen
in die unendlichen Weiten. Und in einer fernen Galaxie wundern
sich die Aliens, dass es irgendwo da draussen einen blauen Planeten
gibt, dessen Bewohner offenbar nur die eine Botschaft haben:
Frohes neues Jahr!
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