Weihnachten - das wird im
Trubel leider oft vergessen - ist nicht nur das Fest der zimtsüssen
Liebe, die Zeit der chronischen Verstopfungen, überquellenden
Mülleimer und spitzen Tannennadeln in der Socke. Nein, Weihnachten
ist immer auch ein willkommender Anlass zum Innehalten. Zum
Luftholen - und Verrücktwerden.
In
den besinnlichen Momenten des betagten Jahres treten wir ans
angehauchte Wohnzimmerfenster, lockern unsere Feiertagskrawatte,
deren psychedelisches Muster an die sahneverschmierten Kuchenteller
in der Spülmaschine erinnert. Starren glasigen Auges hinaus
in die deutsch-sibirische Winterlandschaft und begreifen beim
Anblick vermummter, auf allen Vieren herumrutschender Gestalten
endlich, wie klein und nichtig wir doch alle sind. Nichts ist
von Dauer, alles scheint flüchtig.
Manch
eine dieser bedauernswerten Kreaturen da draussen verschwindet
urplötzlich im kratergrossen Schlagloch wie ein Festtagskloss
im Schlund. Infolge des Blitzeises schaffen es Verschnupfte
nicht mehr, dem Nasentröpfeln mit Taschentüchern Einhalt zu
gebieten. Es bilden sich bizarre Eisformationen, sogenannte
Rüsselstalaktiten, die man bei Bedarf einfach abschlägt und
als Zahnstocher benützt.

Blasenschwache
Männer müssen nach dem spontanen Wasserlassen von Hauswänden
und Bäumen lostgeschweisst werden. Andere Verzweifelte bilden
marodiernde Strassensekten, die an den Händen festgefroren mit
ekstasischen Rundtänzen um die baldige Erderwärmung beten -
oder wenigstens um einen letzten pünktlichen ICE vor der Apokalypse.
Junggesellen versuchen mittellose Frauen zu verführen, indem
sie ihnen vorgaugeln, sie seien Feldbettenzulieferer von Lufthansa.
Wer ausgiebig schwitzt, bekommt auf der Stelle die Einberufung
zum Winternotdienst. Der wohlhabende Nachbar streut in geistiger
Umnachtung mit dem Desertlöffel sein letztes Gramm Fleur de
Sel über den spiegelglatten Gehweg und wird prompt von der balkanischen
Salzmafia mit Schneeschaufeln traktiert.
Man
schüttelt nur den Kopf und denkt: Ja, der Mensch, er ist und
bleibt, besonders zwischen den frostigen Jahren, ein Mängelwesen.
Ein zivilisatorisches Häufchen Elend. Hätte der Mensch noch
Klauen und Hauer, er könnte sich da draussen im ewigen Eis oder
beim dräuenden Umtauschwahn im blutrünstigen Kassennahkampf
behaupten. Er würde, wenn das Kind die Blockflöte des Grauens
zückt, um im Duett mit der tremolierenden Schwiegermutter ("O
du grölende") das Nervenkostüm in einen leuchtenden Christbaum
zu verwandeln, die Ohren wie ein sanftmütiges Geschenke-Kamel
aus dem Abendland verschliessen und wiederkäuend dem eigenen
Pulsschlag lauschen. Auch die mangelhafte Körperbehaarung macht
uns zum Spielball der Naturgewalten.
Nein,
es gibt keine Hoffnung in diesen kalten, nackten, salzarmen
Zeiten. Da hilft nur noch: Warten, starren, bibbern, Schneemänner
bauen. Und falls die Schwiegermutter immer noch grölt ... einfach
aus Ihrer Sonntagszeitung eine Blockflöte basteln und mitpfeifen.
Es hilft ja alles nichts.
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