Fassungslos starrt die Menschheit
auf die Enthüllungen der Plattform Wikileaks. Im Minutentakt
entdecken wir neue Schamlosigkeiten in löchriger Botschafterreizwäsche.
Amerika lästerte wie eine Horde texanischer Kuhtreiber, und
alles wankt. Das Misstrauen wächst. Kein Wunder, dass die Mächtigen
sich hierzulande ebenfalls nur noch in unverständlichen Depeschenhochdeutsch
unterhalten, was vor allem verdächtigen Migranten, Mietnomaden,
Maulwürfen und Ministern für Äussere Angelegenheiten arg zu
schaffen macht. Guido Westerwelle führt ab sofort aus Sicherheitsgründen
nur noch bilaterale Selbstgespräche hinter vorgehaltener Hand.
Und erklärt sich dabei in endlosen eitlen Satzschleifen vorsorglich
selbst zur Persona non grata, was - wie aus gut unterrichteten
FDP-Kreisen verlautet wurde - kein Pasta-Rezept für Heiligabend
ist. Apropo Stresstest im trauten Kreis: Auf betrieblichen Weihnachtsfeiern
wird dieser Tage vorsorglich auf jede missverständliche Floskel
verzichtet, und man geht sich nach der dritten Sektflöte gleich
direkt an die Wäsche.
Doch Vorsicht
beim vertrauten Whistleblow-Job im Kopierraum: Überall drohen
Ecken und Wanzen! Die versehentlich gefaxten Kopien mit den
fladenförmigen Motiven könnten von nordkoreanischen Spionen
entschlüsselt und als feindliche Lagepläne und Angriffsbefehle
fehlinterpretiert werden. Ein Glück, dass Kim Jong-ils Geheimdienstler
inzwischen so ausgehungert sind, dass sie nicht nur Faxe, sondern
auch Depeschen, Heftklammern, ausländische Informanten und anderes
nutzloses Büromaterial augenblicklich verspeisen und ihren Oberbefehlshaber
im Dunkeln weiter seine Dauerwelle föhnen lassen.

Doch
nicht nur im Land des "geliebten Führers" herrscht
Enzeitstimmung. Winterreifen, Julian-Assange-Sonnenbrillen und
Dechiffriermaschinen sind bei uns ausverkauft. Geheimnisträger,
die ihr Pseudonym vergessen haben, vermuten, dass der rätselhafte
Wikileaks-Gründer ("dünn, blond, brilliant") seinen
Unterschlupf in den geblähten Nüstern eines schwedischen Rentieres
gefunden hat. und zum Fest der Liebe von einem eingeschleusten
Weihnachtsmann rausgekitzelt wird. Manch ein Christmas-Shopper
fragt sich panisch, ob man angesichts der dräuenden internationalen
Irritationen kommende Woche nicht wieder zur bewährten Scheckbuchdiplomatie
zurückkehren und sein Sparkonto auf einmal leer räumen soll
(Erik-Cantona-Doktrin). Die Situation bleibt jedenfalls undurchsichtig.
Bunker und Tiefbahnhöfe sind schon wieder im Trend. Wird auf
einem zugigen deutschen Kopfbahnhof ein herrenloser Diplomatenkoffer
gefunden, wird er unverzüglich und mangels echter terroristischer
Alternativen rücksichtslos mit widersprüchlichen Argumenten
gesprengt, wobei die Ohnmächtigen mit salomonischen Schlichtersprüchen
beruhigt werden. Genau das sei Diplomatie, sagte mal ein kluger
Mensch: Mit dem Schwein freundlich, aber zielorientiert über
die Notwendigkeit des Sonntagsbraten zu verhandeln. Sollte sich
später Ihr Braten als der gesuchte Julian Assange entpuppen,
lassen Sie sich nichts anmerken. Verhandeln Sie. Lächeln Sie
salomonisch. Und beissen Sie herzhaft zu.
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