Es besteht Grund zur Sorge,
aber kein Grund zur Hysterie. Die Gefahr von Anschlägen ist
real, aber nicht konkret. Wenn wir uns einschüchtern lassen,
haben die Terroristen schon gewonnen. Und so stehe ich in der
U-Bahn-Station und pfeife ein Lied.
Zwei
Polizisten nähern sich. Wo kommen die plötzlich her? Sonst ist
hier nie Polizei zu sehen. Es wird wohl eine dieser "Massnahmen"
sein, denke ich, mit denen die Innenminister uns beruhigen wollen.
Verstärkte Polizeipräsenz, gefühlte Sicherheit. Mir egal. Ich
habe ein gutes Buch dabei und bin schon gespannt darauf, wie
es weiter geht.
Die Polizisten sehen
bedrohlich aus: Schwarze Lederjacken, die Mützen tief in die
Stirn gezogen, an den Seiten baumeln Pistolen. Ich bin kein
Terrorist, das müsste ich wissen. Das alles geht mich nichts
an. Ich blicke in mein Buch. Wo war ich stehengeblieben?
Einer
der beiden Polizisten schaut ziemlich oft zu mir herüber. Warum
nur? Gut, ich habe einen schwarzen Mantel an, bin unrasiert
und trage einen Rucksack, in dem eine Bombe drin sein könnte.
Ich bin aber kein dunkler Typ, eher so leicht osteuropäisch.
Kommen Terroristen neuerdings aus Osteuropa?
Morgen
rasiere ich mich. Ich bin nicht zum Islam übergetreten. Ich
würde das den Polizisten sagen, aber die tuscheln herum, und
immer mal wieder blickt der eine mich an. Überlegen sie, wie
sie mich am besten überwältigen können? Oder ob es die Vorschriften
zulassen, mich vorsorglich zu erschiessen?
 Die
U-Bahn kommt, ich steige ein. Nein, ich bin nicht in Panik.
Dies ist ein freies Land, alles ist gut. Ich habe mich sicher
gefühlt - bis zu dem Augenblick, als die beiden Polizisten auftauchten.
Sie steigen ebenfalls ein, dicht hinter mir. Ich hoffe, dass
ich nicht nach Angst rieche, und suche mir einen Platz.
Soll
ich jetzt lesen und mein Gesicht hinter dem Buchrücken verbergen?
Oder würde das den Verdacht gegen mich erhärten? Ich weiss nicht
mehr, was ich tun soll. Innere Unsicherheit. Ich hebe den Kopf
und - sie sehen mich an.
Warum ich?
In dieser Stadtbahn gibt es Menschen, die sehr viel verdächtiger
aussehen. Zum beispiel dieser Dicke da drüben mit der Plastiktüte.
Was da wohl drin ist? Oder die beiden dunkelhaarigen Jungs dort
in billigen Trainingsanzügen. Also, wenn ich mich in die Luft
sprengen wollte, würde ich einen billigen Trainingsanzug anziehen.
Alles andere wäre ja Geldverschwendung. Ich will mich aber nicht
in die Luft sprengen, damit das klar ist. Ich will es nicht!
Unglaublich, wie schnell man in diesem Land zum Terrorverdächtigen
wird.
Vielleicht haben die Beamten
ja einen heissen Tipp bekommen: In genau dieser Stadtbahn wird
in genau fünf Minuten eine Bombe explodieren. Der Tatverdächtige
trägt einen schwarzen Mantel und ist unrasiert.
So
wird es sein. Verdammt.
Ich bin des
Todes, so oder so. Entweder werde ich von Plozisten erschossen
oder Opfer einer Bombe. Gerade will ich eine letzte SMS an meine
Frau schreiben, da steigen die Beamten aus. Einfach so. Gefahr
vorüber. Sie war real, aber nicht konkret. Kein Grund zur Hysterie,
ich hab's doch gewusst. Morgen fahre ich mal mit dem Auto.
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