Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (14. November 2010)
 
Man ist, was man isst
   

   Hören Sie es auch? Dieses Zutzeln. Schlürfen. Schlucken. Sabbern. Rülpsen. Aus allen Ecken hallt dieser Tage ein verführerisches Fressgeräusch, das den kollektiven Speichelfluss zu einem reissenden Strom anschwellen lässt und unsere Geschmackssynapsen heiter aufschmatzen lässt. Mit erigiertem Gaumen nehmen wir zur Kenntnis, dass a) der "Guide Michelin" gar kein bevorzugter Winterreifen mit viel Grip für die Oberklasselimousine ist und b) die fetten Jahre nie wirklich vorbei waren. Im Gegenteil. Unsere Spitzengastronomen haben die leichte Verdauungskrise heil überstanden und können sich in diesem Herbst wieder über einen erhebenden Sterne-Einklauf freuen. Doch wer sind die wahren Aufräumer in Deutschlands lautesten Darmgegend?

   Da wäre etwa die erfahrene Meisterköchin Alice Schwarzer, die in ihrem Gourmettempel "Schnippschnapp" seit je auf aufgebrühte Hausmannstrennkost setzt. In Schwarzers Küche finden sich beispielsweise keine Schürzen, Gockel, Hühnerbrüste oder Bratwürste ("zu sexistisch"). Den Stern bekam sie übrigens für einen saftigen Junggänsebraten à la Kristina auf einem altfeministischen Ohrfeigen-Jus, garniert mit lilabitteren Gewürzpflaumen. Ein Gedicht. Die Chefin bezieht ihre Produkte ausschliesslich von lokalen Erzeugern, das karrieristische, meist blonde Federvieh wächst glücklich und isoliert von den wahren geschlechtlichen Zuständen in unionsnahen Brutstationen auf. Sie wachsen, aber nur kurze Zeit. Zugedeckt von gläsernen Decken merken die dummen Dinger gar, wie sie geschlachtet werden.

   Eine ganz andere Philosophie verfolgt der Jungstar unter den Berliner Brutzlern, Philipp Rösler. Seine asiatisch inspirierte Molekularküche im "Pharma's Inn" beruht auf den drei Prinzipien "Eat, pray and live". Man isst täglich eine teure rezeptfreie Chemiekeule, betet zu Buddha und lebt in der Hoffnung, dass einen die Glutamatpampe im Lebenswok von innen imprägniert. Sollten Sie dennoch irgendwann auf Ihrem Rücken eine dritte Schulter entdecken, gehen Sie bloss nicht zum Arzt, fragen Sie nicht Ihren Apotheker. Machen Sie lieber Purzelbäume. Halten Sie sich fit. Oder essen Sie irgendetwas Gesundes.



   Ähnlich radikal haut das Team um Claudia Roth und Cem Özdemir (siehe Bild) die Pfannen auf die atomstromgetriebenen Induktionsherde im trendigen Restaurant "Apocalypse. Wow". Ihre Spezialitäten: Keine Vorbestellung, spontaner Service und jahrzehntealter vergorener Grünkohl nach der Slow-Foot-Methode. Das heisst: Alles wird sehr langsam weich getreten, eingekocht und in seine Bestandteile aufgelöst. Von der Politik längst fertig Gegartes wird immer wieder aufs Neue aufgewärmt, dann zügig mit scharfen Parolen aufgeschwitzt und desillusionierten, ausgehungerten Protestfeinschmeckern vorgesetzt. Nicht nur in Berlin, auch im Wendland un dim schwäbischen wird diese Küche immer populärer.

   Und wenn Sie den Heisshunger kaum mehr zügeln können, holen Sie Ihre phallische Pfeffermühle, würzen Sie vor Ihrem nächsten Demonstrationsgang diese Kolumne und beissen Sie beherzt hinein - sofern Sie noch ein intaktes Gebiss haben. Ansonsten sehen Sie die Sterne leuchten. Bon appétit.
 

 

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