Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (31. Oktober 2010)
 
Der Monolog des Mediators
   

   Spätetestens seit Beginn dieser Woche gilt Deutschland als führender Produktionsstandort für Mediatoren. Deutsche Mediatoren sind aufgrund ihrer unbegrenzten Leidensfähigkeit weltweit gefragt. Kaum entflammt irgendwo ein Streitgespräch, mischen sie sich mit reptilienhafter Noblesse ein, holen mit ihrer klebrigen Zunge blitzschnell Argumente wie Fliegen herein und kauen sie durch. Mediatoren haben in Deutzschland eine lange Tradition, die allerdings Mitte des vergangenen Jahrhunderts durch den Einsatz von Granatwerfern unterbrochen wurde. Ob die deutsche Geschichte hätte umgeschrieben werden müssen, wäre vor Beginn des Winterfeldzugs ein Mediator eingeschaltet gwesen, ist ungewiss. Charlie Chaplin hat diese Sachzwänge ja in seinem Film "Der grosse Mediator" hinreissend persifliert.

   Dieses Stück wird in Stuttgart gerade wieder inszeniert. Dabei brilliert die Regie durch den schlüssigen Einsatz von Dreitagebärten und Lesebrillen und den Einsatz konstruktivistischer Diagramme, die an Fahrpläne erinnern. Der Runde Tisch als alte Gralsmethaper bestimmt die Bühne und ermöglicht mit dem Auftritt des Chors der Entrechteten einen ersten dramaturgischen Höhepunkt. Deren überhöhte Armut, ihre akribisch ausgearbeiteten Gebissdefizite lassen den Eindruck zu, Repins legendäres Gemälde "Die Wolgaschlepper" sei wieder zum Leben erweckt worden - ein kurioser Ausflug ins Theater des stalinistischen Manierismus. Der Monolog des Mediators beklagt den Triumph der Sachzwänge über die Romantik und versetzt die Revolutionäre in todesähnlichen Schlaf. Das Publikum reagierte ebenfalls ermattet.



   Abseits des Theaters werden Mediatoren heute vor allem in Ehekriegen eingesetzt, wo sie das ganze Instrumentarium der modernen Vermittlung entfalten. Geht es beispielsweise um die Haare im Waschbecken, wird zunächst mit DNS-Probe ermittelt, welchem Ehepartner sie zugeordnet werden könnten. Oft stellt sich heraus, dass der andere die Haare grundsätzlich eklig findet, sie aber dennoch als Zahnseide nutzen würde - schon ist ein privates Minenfeld entschärft! Beim legendären Gemüsekonflikt, der in den 80ern beinahe zur Kriegserklärung an Holland geführt hätte, ist es nur dem Einsatz eines Blumenkohls als Mediator zu verdanken, dass sich Tomaten und Kohlrabi nicht in einer Abnutzungsschlacht aufrieben. Es ging damals um die Versorgung mit Stickstoff und um das Recht, die Oberlichter im Gewächshaus schräg zu stellen.

   Heute sollte ein Mediator mindestens 80, möglichst aber über 100 Jahre alt sein und mehrere Tausend Tarifschlichtungen absolviert haben. Das befähigt ihn, in Verhandlungen mit der einen Körperhälfte zu schlafen und mit der anderen Butterbretzeln zu verdauen. Seine Sitzphysis zeichnet sich durch signifikante Verdickungen aus. Man weiss von Mediatoren, die ihren Puls auf unter 30, also ungefähr auf das Niveau eines Blumenkohls absenken zu können. Diese Ausdauer erzwingt den entscheidenen Durchbruch in den Verhandlungen. Dünnhäutige Sozialpartner sind nach dreiwöchigen Gesprächen am Ende ihrer Kräfte, schluchzen konvulsivisch und unterschreiben am Ende alles.
 

 

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