Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (10. Oktober 2010)
 
Von Elektrolesern und Zeitgeistautoren
   

   Alle Augen richten sich in dieser Woche auf die FrankfurterBuchmesse, jenem Mekka der Halbbildung, zu dem sich schöne Frauen, Designerbrillen, Lizenzanwälte und vereinzelt auch Autoren alljährlich zusammenfinden. Bei einem Rundgang wird klar: Mit "Hot Spots", "Story Drives", "Communities", "Best-Practice-New-Ideas" und dem "Educationel Publishing Pavillon" geht zum ersten Mal seit Jahren wieder um die deutsche Sprache. Unsere Redaktion hat sich in den Messehallen umgeschaut und dabei versehentlich einige herumlungernde E-Reader niedergetrampelt. E-Reader, auf deutsch: Elektroleser, wurden bereits auf der Pariser Weltausstellung 1900 vorgestellt, konnten sich aber damals gegen Dampflokomotiven und Maschinengewehre nicht durchsetzen.

   Heute dagegen sind Elektroleser gerngesehene Gäste. Sie blättern so schnell um, dass ein Analogleser mit blossem Auge kaum hinterherkommt. Sie merken sich alle Querverweise uund kennen mindestens drei Millionen Fremdwörter. Einen Grass verarbeiten sie binnen weniger Minuten zu binärem Brei, neigen aber zu Blockaden und Abstossungsreaktionen gegen Coelho-Esoterik. Bei Lesungen verdrücken sie zwölf Schnittchen, trinken ohne Dtenverlust sechs Prosecco und sondern beim Small Talk noch Sentenzen von geschliffener Brillanz ab.



   Nun aber ein rascher Blick auf die Neuerscheinungen, die vor allem von Prominenten aus Show und Politik geprägt sind. Da wäre beispielsweise Christine Neubauer mit ihrem Buch "Mein Leben als Teigtasche". Die bekannte Filmnudel lässt Stationen ihrer Karriere Revue passieren. Von den Anfängen als Grünalge bis zur Rolle als 48-jährige, vollreife Schlachtplatte in dem Remake von "Das grosse Fressen". Andere Buchmesse-Blockbuster sind: "Hautflügler der Liebe" von Anselm Grün; der Schutzengel aus dem Bayerischen schildert noch einmal seine dramatischsten Einsätze auf den Dreitausendern der Beliebigkeit. Stefan Mappus: "Aufrecht gehen"; der beliebte Landespanzer lässt in beklemmender Offenheit seine Gewissenszwänge während den Oktoberunruhen Revue passieren - eine Pflichtlektüre für alle, die glauben, Demokratie sei eine Selbstverständlichkeit. Georg Funke: "Schicksal HRE. Mein zweites Leben"; ein "Bankmanager mit Gewissen" beschreibt, wie er gegen allen Widerstände das Kapital an notleidende Länder wie Irland, Island und die Cayman Islands übergab, dann zum Rücktritt gezwungen wurde und jetzt auf einem Öko-Bauernhof Pensionszahlungen kultiviert. Annette Schavan: "Wenn man drückt, geht noch was rein - moderne Bildungspolitik auf dem Weg zum G5"; die Kulturministerin legt mit Witz und und verblüffernder Stringenz dar, wie der Bildungsweg um Jahre verkürzt werden kann. Zwölfjährige Studenten sind demnach keine Utopie mehr. Thilo Sarazin: "Deutschland rafft sich auf. Über die Technik des Zusammenraffens"; der Erfinder der legendären 1000-Euro-Klausel gibt Tipps, wie man das Tabu grenzenloser Gier durchbricht und trotzdem noch zu Parties eingeladen wird. Beim Durchblättern brannten allerdings bei vielen Elektrolesern die ersten Schaltkreise durch.
 

 

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